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05 Angeborene – und erworbene Fehlstellungen beim Jungpferd

Vom Fohlenhuf zum Jährlingshuf

Ohne Huf kein Pferd. Diesen Satz bekam ich schon als Kind oft zu hören. Aber erst später wurde mir klar, was wirklich damit gemeint ist. In der Praxis erlebe ich in zunehmendem Maß, dass auf die Hufe weniger Wert gelegt wird. Dass der gesamte Bewegungsapparat, genaugenommen der gesamte Pferdekörper 24 Stunden des Tages von den Hufen beeinflusst wird, scheint nicht mehr jedem Züchter, Aufzüchter und Reiter wirklich bewusst zu sein. Die Entwicklung der Fohlenhufe bildet die Basis für ein ganzes Pferdeleben. Und wir können das beeinflussen.

Fohlenkissen

Zum Zeitpunkt der Geburt sind die Sohlen des Fohlenhufs mit einer weichen lamellenartigen Struktur bedeckt. Dieses sogenannte Fohlenkissen schützt die Gebärmutterschleimhaut vor den Tritten des heranwachsenden Fohlens und verringert die Verletzungsgefahr des mütterlichen Geburtsweges während der Geburt des Fohlens.

Nach einigen Stunden bis Tagen trocknet diese lamellen – zottenartige Substanz aus und spätestens nach einigen Tagen auf trockenem Geläuf fällt es vom Huf ab.  Zurück bleiben die mit jedem Tag stabileren spitzgeformten Fohlenhufe. Nie sollte das Fohlenkissen mit einem scharfen Gegenstand oder gar einem Messer entfernt werden. Hierbei entstehen unwiderbringliche Verletzungen der Lederhaut, die nicht mehr abheilen können. Das Fohlen ist dann verloren.

Das Training für die Hufbearbeitung beginnt schon in den ersten Lebenstagen

Die Basis dafür wird aber schon im Fohlenalter gelegt. Daher beginnt das Training für die Hufbearbeitung bereits in den ersten Lebenstagen. Zunächst werden die Beine nur angefasst und man lässt die Hand an der Röhre nach unten gleiten. Hebt das Fohlen dabei einen Huf aus Reflex an, fasst man an den Huf und lässt es ihn aber gleich wieder absetzen. Loben wirkt dabei Wunder  (Imprint System).  

Klappt das ohne Abwehr, folgt der nächste Schritt: das Anheben jeden einzelnen Hufes, begleitet von der Aufforderung z. B. „Fuss“. Den Fohlen fällt es an den Vorderbeinen leichter das Gleichgewicht zu halten, als an den Hinterbeinen, daher reicht es in den ersten Tagen völlig, wenn es sich ohne Abwehr an den Beinen anfassen lässt und man die Hufe kurz anheben kann, ohne die Hinterhufe weit hoch heben zu wollen oder gar Auskratzen zu wollen.

Bei vielen Fohlen, die anfangen mit den Hinterbeinen nach dem Menschen zu treten, empfiehlt es sich an den Hinterbeinen einen Strick um die Fesselbeuge zu legen und auf den Befehl „Fuss“ das Bein zuerst in Richtung unter den Bauch anzuheben. Hält das Fohlen dabei still, wird wieder abgesetzt. Nach und nach kann dann i.d.R. das Seil weggelassen werden und das Bein mit der Hand in Richtung unter den Bauch angehoben werden. Erst dann wird geübt den Huf normal aufzuheben, als wollte man auskratzen und dann wird versucht die Röhre auf dem Oberschenkel des Menschen abzustützen.

Das Ganze ist eine Balanceübung für das Fohlen und solange man sich dessen bewusst ist, fällt es leichter die Ruhe zu bewahren. Nie sollte man dies anfangs versuchen alleine zu üben, sondern immer mit einer zweiten Person am Kopf des Fohlens.

Vom Fohlenhuf zum Jährlingshuf

Der Fohlenhuf ist nach der Geburt  am unteren Tragerand  enger, als am Kronsaum.  Das Ballenpolster ist noch kaum ausgeprägt und die Hufe haben eine spitz zulaufende Form. Die Fohlen belasten, bedingt durch diese Hufform, die Zehe und den zentralen Bereich des Strahls mehr.

Diesen Strukturen kommt anfangs die Aufgabe zu das Gewicht des Fohlens zu tragen. Die notwendige frühzeitige Bewegung, auf nicht zu weichem Boden, bewirkt, dass der Druck auf den Strahl die Trachten weitet und somit dem Hufbein auch mehr Raum für die knöchernde  Entwicklung (Ossifikation) gegeben wird. Mit zunehmendem Alter und dem zunehmendem Gewicht des Fohlens, entwickelt sich Strahl und Ballenpolster und die Trachten werden auseinander gedrückt.

Dadurch kommt es nach und nach zu einer Veränderung der Hufform vom spitzen Fohlenhuf zum eher rundlichen Jährlingshuf. Das knöchernde Hufbein erhält  mehr Raum, wächst weiter und verfestigt sich durch Einlagerung von Kalzium, Apatiten und Mineralsalzen. Daher ist schon früh eine Kontrolle der korrekten Entwicklung elementar.

Physiologisches Fohlenverhalten

Jeder hat schon einmal lächelnd den Fohlen beim Grasen zugesehen. Die Beine sind zu lang, oder der Hals zu kurz.

Durch das breite Grätschen können sich die Tragewände vor allem auf harten, trockenen Sommerweiden schräg abnutzen. Aber auch die Einnahme einer sogenannten Schrittstellung, führt zu einer Veränderung der Hufentwicklung.

Da jedes einzelne Fohlen für sich eine weitgehend durchgängig gleiche „Problemlösung“ präferiert, können sich bei der Schrittstellung auf der einen Vorderbeinseite ein kleinerer, steilerer Huf und auf der anderen Seite ein größerer flacher Huf ausbilden. Viele erwachsene Pferde haben einen großen, flacheren und einen kleinen, steileren Huf – heute weiß man, dass diese Entwicklung  bereits im Fohlenalter seine Ursache hat.

Um die physiologischen Umformungsprozesse der Fohlenhufe und deren ungewünschten Abweichungen korrekt zu begleiten, ist eine fachlich fundierte Hufbearbeitung  ab den ersten Lebenswochen  notwendig.

„Grätschstellung“
„Schrittstellung“

Gleichbleibend zu harte oder zu weiche Böden sind – genau wie beim erwachsenen Pferd – ungeeignet. Wechselnde Böden, wie weiches Gras, betonierte Paddocks, Sandboden geben von Beginn an unterschiedliche Reize auf den Bewegungsapparat und führen zu einer variierenden Abnutzung des Hufhorns und einer Stabilisierung des Muskel-, Knochen-  und Sehnenapparates.

Achsenfehlstellungen

Diese treten am häufigsten an den Vordergliedmaßen auf. Es kann aber natürlich von Geburt an zu Achsen-Abweichungen in allen Gelenken kommen. Sehr häufig betroffen ist das Karpalgelenk. Die Längsachse  kann nach innen (X–beinig) bzw. nach außen (O-beinig, fassbeinig)  verlaufen.

Oder ein Beispiel für Fehlstellungen in den unteren (Zehen) Gelenken:

Durchtrittigkeit

Dies ist bei unzähligen Neugeborenen Fohlen im Fesselgelenk zu sehen. Dabei tritt das Fesselgelenk in Richtung Boden durch. Dies kommt zum einen durch eine Schwäche der Beugesehnen und des Fesseltrageapparates zustande. Zum anderen wird ein Fohlen mit einem überwiegend noch aus „Knorpel – Anteil“ bestehenden Skelett geboren. Erst die fortschreitende knöchernde Entwicklung (Ossifikation) des Skeletts gibt den Gliedmaßen die notwendige Stabilität. Durch den Reiz der Bewegung auf hartem, ebenem Boden beheben sich diese Fehlstellungen des Neugeborenen schnell.

Zwanghuf

Zwanghufe können sich entwickeln, wenn durch zu wenig Bewegung oder durch mangelhafte Hufbearbeitung sich die Hufe im hinteren Bereich nicht weiten. Dann bleiben die engen Trachten des Fohlenhufs bestehen, der Strahl und das Ballenpolster entwickeln sich nicht korrekt, sodass die Eckstreben gerade bleiben, oder sich sogar beginnen nach innen unterzuschieben.

Bockhuf – angeboren

Der Bockhuf ist deutlich stumpfer als der regelmäßige Vorder- bzw. Hinterhuf und die seitliche Fesselachse ist nach vorne gebrochen. Man unterscheidet zwischen dem angeborenen und erworbenen Bockhuf, der an den Vorderbeinen ein-, oder beidseitig auftreten kann. Der erworbene Bockhuf entsteht in den ersten Lebensmonaten (3.-6.) und ist nicht immer ausschließlich auf eine mangelhafte/ fehlerhafte Aufzucht oder Hufbearbeitung zurückzuführen.

erworbener Bockhuf

Der Huf ist eng geblieben, wobei die Trachten stark in die Höhe gewachsen sind. Oft ist die Trachtenwand annähernd  gleich lang wie die Zehenwand. Der Strahl ist, durch mangelhaften Bodendruck wenig, bis gar nicht entwickelt.

Ursache ist häufig eine Verkürzung der tiefen Beugesehne, die relativ entsteht. Das bedeutet der Knochen des Röhrbeins wächst schneller in die Länge, als die Beugesehne. Zudem zieht das Unterstützungsband, welches die tiefe Beugesehne mit dem Röhrbein verbindet, zusätzlich an der Sehne.

Daher sprechen einige Tierärzte auch von einer Kontraktion (Zusammenziehung) der tiefen Beugesehne. Die Folge ist eine Beugung des Hufgelenks, wodurch die Trachten entlastet werden und somit schneller wachsen. Die Zehenwand muss den vermehrten Druck aufnehmen, wodurch diese kaum noch wächst und Entzündungen im Aufhängeapparat entstehen.

Beachtet werden muss die Möglichkeit, dass ein Bockhuf auch sekundär entstehen kann. Das bedeutet, die orthopädische Ursache liegt viel weiter oben im Bein. Schmerzbedingt wird das Bein entlastet, so dass sich die tiefe Beugesehne verkürzt und in Folge dadurch erst der Bockhuf entsteht. Dies kann bei jungen Fohlen, aufgrund der hohen Wachstumsrate besonders in den ersten Lebensmonaten, sehr schnell gehen.

Konservativ wird der angeborene und erworbene Bockhuf durch starkes Kürzen der Trachten, so dass diese in Schwebe sind, und durch einen Schutz/ Verlängerung der Zehenwand (Klebeschuh) behandelt.

Sehnenstelzfuss

Anders als beim Bockhuf, handelt es sich beim Sehnenstelzfuss um eine relative Verkürzung der oberflächlichen Beugesehne. Die oberflächliche Beugesehne setzt in der Fesselbeuge am Kronbeinknochen an.

Dadurch entsteht eine vermehrte Beugung im Fesselgelenk und nicht, wie beim Bockhuf im Hufgelenk.

angeborener Stelzfuss

Auch hier unterscheidet man zwischen dem angeborenen- und erworbenen Sehnenstelzfuss. Der Angeborene kann eine genetische Ursache haben, durch eine ungünstige Lage des Fohlens in der Gebärmutter, oder durch eine mangelhafte Mineralstoffversorgung der tragenden Stute, entstehen.

Der erworbene Sehnenstelzfuss entwickelt sich später (9.-18. Lebensmonat). Dies ist zumeist eine wachstumsbedingte Fehlstellung und betrifft eher schnell wüchsige Warm- oder Vollblüter.

Ursache hierfür kann ein schwach ausgebildeter Zehenstrecker sein, ein Missverhältnis zwischen Zehenstreckern und Zehenbeugern, oder ein Missverhältnis zwischen Knochen- und Sehnenwachstum.  

Ein Riss des Zehenstreckers, aufgrund eines akuten Unfalls, kann auf den ersten Blick einen Sehnenstelzfuss vortäuschen. Dieser tritt aber plötzlich auf und entwickelt sich nicht nach und nach.

Beim Sehnenstelzfuss ist zumeist die Durchtrennung des Unterstützungsbandes der oberflächlichen Beugesehne und manchmal auch zusätzlich die Durchtrennung des Unterstützungsbandes der tiefen Beugesehne der einzige zielführende Weg,

Schlimm betroffen sind die Fohlen, die erst einen Bockhuf, aufgrund der tiefen Beugesehne und zusätzlich später aufgrund einer relativen Verkürzung der oberflächlichen Beugesehne auch noch einen Sehnenstelzfuss entwickeln.

Hier ist die chirurgische Durchtrennung beider Unterstützungsbänder und ggf. sogar von Teilen des Fesseltrageapparates der Weg. Mit umfangreichen chirurgischen Eingriffen wird allerdings auch die Prognose für das junge Pferd tendenziell immer schlechter ausfallen.

Erworbene Stellungsfehler

Erworbene Stellungsfehler sind Stellungsanomalien, die sich beim zuerst gesunden Fohlen im Laufe der Zeit schleichend oder durch Unfälle abrupt einstellen.

Ursachen:

  • Genetisch bedingt
  •  ein Problem der Haltung (mangelhafte Bewegung u./o. ausschl. Haltung auf sehr weichem Boden)
  • Mineralstoffmangel
  • fehlendes Monitoring
  • fehlerhafte Hufbearbeitung
  • Überfütterung (Mästen) mit Eiweiß und Energie (schnelles Wachstum -> Missverhältnis von Knochen- zu Sehnenwachstum)         
  • Traumata (= Unfälle) verschiedenster Art

Aufzucht bedeutet vor allem auch Verantwortung zu übernehmen. Verantwortung, für eine gesunde Lebensqualität auch für die Zukunft eines jeden einzelnen Pferdes. Hier wird vom ersten Tag an die Grundlage für ein ganzes Pferdeleben, für einen späteren Verwendungszweck und für mögliche Vermarktungschancen in jedem Lebensalter gelegt.

(Fotos mit freundlicher  Genehmigung Schmiedemeister Klaus Mäurer Sachverständiger für Hufbeschlag;  k.maeurer@hufsachverstand.de)