Warum Zucht?
Natürlich kann man sich die Frage stellen wozu man eigentlich Körungen braucht. Niemand verbietet es einem, einen ungekörten Hengst mit einer nicht im Zuchtbuch eingetragenen Stute anzupaaren.
Ich habe einiger solcher „Straßenzuchtprodukte“ in den letzten Jahren, vor allem aus Spanien kommend gesehen. Spanien ist deswegen ein Beispiel, weil dort viel mehr Hengste gehalten werden, als vergleichsweise in Deutschland. Im Rahmen einer Ankaufsuntersuchung trage ich diese Pferde mit der „Rasse-Bezeichnung“: Cruzado ins Protokoll ein. Was toll klingt, aber einfach nur „spanisches Pferd“ bedeutet. Allerdings habe ich dabei auch gelernt genau hinzuschauen. Abweichungen in der Kiefer-, Maul- und Gebissanatomie – ein Pferd hatte zum Beispiel einen um 30° anatomisch falsch angelegten Unterkiefer, ungewöhnliche Fehlstellungen an den Gliedmaßen, röntgologische Knochendeformationen und ähnliches tauchten in meiner Praxis auf. Für mich fällt das unter „Vermehrung“ und hat nichts mit Zucht zu tun.
Zucht – eine große Verantwortung
Zucht bedeutet die kontrollierte Anpaarung von Pferden (und anderen Tierarten/ Pflanzen) , die nach einem zuvor festgelegten Zuchtziel, „vor“-sortiert (selektiert) worden sind. Es geht also nicht mehr um die stärksten, widerstandsfähigsten Tiere, die in ihrer jeweiligen natürlichen Umgebung an sinnvollsten angepasst sind (=natürliche Selektion), sondern hier entscheidet der Mensch, welche Merkmale schwerpunktmäßig weiter vermehrt werden sollen. Eine derartige Zucht-Auswahl beinhaltet eine große Verantwortung, weil sie sich nicht nur auf die gewünschten Merkmale beziehen darf, sondern weil sie auch die Gesundheit der zukünftigen Zuchtprodukte, über alle folgenden Generationen im Blick behalten muss. Deswegen mischt sich der Gesetzgeber in die Durchführung der Pferdezucht ein und legt auch die Rahmenbedingungen dafür fest.
Für alles gibt es Gesetze
Für die Pferdezucht (und für die Zucht anderer landwirtschaftlicher Nutztiere) ist in Deutschland das Gesetz zur Neuordnung des Tierzuchtrechtes, Tierzuchtgesetz – TierZG von 2019, maßgebend. Die jeweiligen Zuchtverbände, sowie Zuchtunternehmen und ihre Zuchtprogramme, unterliegen der Genehmigung und Kontrolle der zuständigen Behörden, die dem Bundesministerium für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft unterstellt sind.
Zugehörige Verordnungen regeln im Detail alles weitere, wie zum Beispiel die Verordnung über Zuchtorganisationen , oder die Verordnungen über Leistungsprüfungen und Zuchtwertfeststellungen.
Diese Verordnungen werden gerade überarbeitet und dazu wird es weiter unten interessant.
Warmblutzucht in Deutschland
Die Zuchtverbände führen ein Zuchtbuch, in welches die Hengste eingetragen werden können. Dabei wird das Hengstbuch I und das Hengstbuch II unterschieden. Um dort eingetragen zu werden, ist die Körung verpflichtend. Für die Art der Durchführung der Körungen, sind die Zuchtverbände zuständig.
Aber für alle Verbände gelten diese gesetzlichen Rahmenbedingungen :
- Das Mindestalter der Hengste muss zwei Jahre betragen.
- Der Hengst muss an einer Vorauswahl teilnehmen, die über die Zulassung zur Körung entscheidet.
- Der Hengst darf keine gesundheitlichen Mängel aufweisen, die den Zuchtwert beeinträchtigen. Deshalb muss eine gesundheitliche Köruntersuchung erfolgen.
Ist der Hengst nach einer Vorauswahl zur Körung zugelassen, muss er gesundheitlich untersucht werden. Dazu bestimmen die Verbände die jeweiligen Praxen/ Kliniken, deren Untersuchungen sie anerkennen und geben detaillierte Vorgaben zu den durchzuführenden Untersuchen vor. Neben einer klar definierten klinischen Untersuchungen, die u.a. auch Angaben zu dem Zustand der Hoden einfordert, wird ein Standardröntgenprofil mit 18 Bildern gefordert, eine Genuntersuchung zum Abstammungsnachweis (schon Voraussetzung für die Zulassung zur Vorauswahl) und eine Blutuntersuchung bezüglich des Gendefektes WFFS (=warmblood fragile foal syndrom).
Nicht alle Befunde führen zum Ausschluss
Auch hier legen die Verbände selber fest, welche Befunde sie noch akzeptieren und welche nicht. So führen noch nicht vollständig entwickelte Hoden, oder auch nur teilweise abgestiegene Hoden, bestimmte OCD Befunde (= Osteochondrosis dissecans – „Chip“), oder der Genträger WFFS bei allen Warmblutverbänden derzeit nicht zwingend zum Ausschluss von der Körung.
Die Verbände entscheiden selbstständig über die Art und den Umfang von Dopingkontrollen, i.d.R. bei Anlieferung der Hengste zur Körung, oder stichprobenartig. Dabei halten sich die Verbände an die Listen und Durchführungsbestimmungen der gültigen LPO (= Rechtsordung ADMR für den Pferdesport).
Hengstbuch I und II
Erhält der Hengst auf der Körung von der verbandseigenen Körkommission das Prädikat „gekört“, wird er im Zuchtbuch des Verbandes in das vorläufige Hengstbuch II aufgenommen.
Für gekörte und nicht gekörte 3 – und 4 jährige Hengste gibt es die 14 tägige Veranlagungsprüfung, die alle gekörten Hengste absolvieren müssen. Hier soll ein umfangreicheres Bild des Pferdes entstehen, was Aussagen über Charaktereigenschaften, Rittigkeit, Leistungsbereitschaft des einzelnen Tieres zulässt. Alle Wertnoten werden anschließend öffentlich zugänglich gemacht.
Um dauerhaft im Hengstbuch I, als anerkannte Zuchthengst des Verbandes, aufgenommen zu werden, müssen die Hengste eine Stationsprüfung absolvieren (zugelassen für 3-7 jährige gekörte und nicht gekörte Hengste) in denen nach Schwerpunktkriterien (dressur-/ springbetont) über einen längeren Zeitraum (~ 50 Tage Prüfung) von Berufsreitern unter den Augen einer Kommission die Pferde nach definierten Kriterien beurteilt werden. Auch diese Ergebnisse werden öffentlich gemacht und die Pferde müssen eine Mindestgesamtnote erzielen, um diese Sportprüfung zu bestehen. Für die Aufnahme ins Hengstbuch I gibt es auch noch alternative Wege über Leistungsnachweise aus öffentlich ausgeschriebenen Sportprüfungen und über sportliche Erfolge.
Kurz-Veranlagungsprüfung (dressur-/ springbetont) für 3-5 jährige gekörte bzw. mit integrierter (Verbands-) Sattelkörung für 3 jährige ungekörte Hengste
Im Jahr 2022 als Pilotprojekt gestartet, hat sich diese Prüfungsform bereits 2023 fest etabliert. Dabei dürfen 3 jährige ungekörte Hengste innerhalb von drei Tagen unter dem Reiter, auf dem Pflaster und die springbetonten Hengste auch im Freispringen vorgestellt werden. Sind die gesundheitlichen Voraussetzungen (Gen-Abstammungsnachweis, Röntgen, klinische Köruntersuchung, WFFS-Zertifikat, EVA-Laboruntersuchung, Amtsarztuntersuchung) alle im Rahmen einer Körzulassung, kann der 3 jährige Hengst gekört werden und hat gleichzeitig seine erste Sportprüfung absolviert. Damit darf der Hengst bereits in seinem ersten Jahr decken und ist vorläufig ins Hengstbuch I eingetragen. Die Verkürzung auf zwei Prüfungstage, sollte auch den 4 und 5 jährigen gekörten Hengsten zu Gute kommen und ihnen den Streß einer längeren Stationsprüfung ersparen. Große Worte für dieses so „pferdeschonende“ neue Format wurde von den Verbandsträgern und der FN gefunden. Alles sollte nun mehr im Sinne der Ausbildungsskala für die jungen Pferde erfolgen und jeder Hengst sollte nun endlich verstärkt im Sinne seiner physischen und psychischen Leistungsfähigkeit geprüft werden. ….
Was aus diesen großen Ideen geworden ist, lesen sie im Block 19 : Fazit Projekt Escobar.
Neue Diskussion – Leitlinien des Bundesministeriums
In fast allen Bereichen der Gesetzgebungskompetenzen geben die Bundesministerien Leitlinien heraus. Diese Texte stellen keine rechtliche Bindung dar, sondern erklären in Textform, den Hintergrund und das angestrebte Ziel bestimmter Gesetze und Verordnungen.
Alle Gesetze müssen immer mal wieder überarbeitet und den neuen Gegebenheiten einer gesellschaftlichen Entwicklung angepasst werden. Dazu bildet die Politik bei auftauchenden Fragestellungen, oder aus Anträge hin, Arbeitsgruppen, die sich mit den bestehenden Situationen genauer auseinandersetzen.
Seit 1992 gibt das Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft „Leitlinien zum Umgang und zur Nutzung von Pferden unter Tierschutzgesichtspunkten“ heraus. Diese wurden neu überarbeitet und lösten im Oktober 2020 in der Pferdeszene eine Diskussion auch zum Thema Körungen aus.
In den „Leitlinien zum Tierschutz im Pferdesport (12.10.2020)“ wird der früheste Zeitpunkt des Beginns einer zielgerichteten Ausbildung zum vorgesehenen Nutzungszweck für Pferde auf 30 Lebensmonate festgesetzt. Das würde bedeuten ein im Mai 2019 geborenes Hengstfohlen, sollte erst im November 2021 mit 2 ½ Jahren das Training aufnehmen. Nach dem heutigen Körsystem der Warmblutverbände hatten aber alle Verbände (mit Ausnahme des deutschen Sportpferdes) bereits im November ihre Hauptkörungen für den in 2019 geborenen Jahrgang schon abgeschlossen. Die Vorkörungen hatten alle im Oktober stattgefunden. Ein Hengst, der im Oktober bei den Vorkörungen auftaucht und sich in entsprechender körperlichen Konstitution an der Hand und im Freispringen zeigt, wie es dieses Jahr der Fall war (und in den Jahren zuvor), muss mindestens im August in die Vorbereitung genommen werden; ein im Mai geborenes Fohlen, ist dann also erst 27 Monate alt. In der Praxis kommen viele Junghengste sogar schon eher in die Ausbildungsställe und verlieren damit in ihrem 2. Lebensjahr wichtige Zeit für die physische und psychische Entwicklung
Aber es ist nicht der einzige Punkt der in Leitlinien des Bundes für Zündstoff in der Szene gesorgt hat. Der Bund hat klar Stellung bezogen zu der Art von Haltung, Ausbildung und zum Umgang mit Jungpferden und damit vielen Praktiken im Vorfeld und in der Durchführung der Körungen eine deutliche Absage erteilt. Obwohl in den „Leitlinien für die Veranlagungsprüfungen von Hengsten“ der Bund bereits 2003 den Umgang mit Jungpferden klar definiert hat. Vieles hat sich über die Jahre hinweg negativ entwickelt, ohne dass die Verbände sich in der Pflicht sahen dem endlich Einhalt zu gebieten. Zu sehr ist die Vermarktung und der wirtschaftliche Umsatz in den Vordergrund getreten.
Alle Verbände bemühen sich jetzt plötzlich ihre Körsysteme umzustricken und dem „Tierwohl“ gerecht zu werden, nur um in der öffentlichen Wahrnehmung als „Pferdegerecht“ da zu stehen. Aber ob sich wirklich grundlegend etwas ändern wird, muss sich erst noch zeigen. Bis jetzt ist es erst die Veröffentlichung der neuen Leitlinie zum Tierschutz im Pferdesport. Die gesetzlich und damit juristisch relevante neue Verordnung über Zuchtorganisationen und die Verordnungen über Leistungsprüfungen und Zuchtwertfeststellungen kommen noch. Bleibt zu hoffen, dass der Gesetzgeber seiner bis jetzt eingeschlagenen Linie treu bleibt und sich dann tatsächlich etwas ändern muss – im Sinne unsere Pferde.
Tierzuchtgesetz TierZG vom 18. Januar 2019
Leitlinien zum Tierschutz im Pferdesport (12.10.2020)
Leitlinien für die Veranlagungsprüfung von Hengsten der deutschen Reitpferdezuchten (August 2003)