Ich stehe an dem kleinen Reitplatz und kann es kaum glauben: Eine Woche ist der Erdinger Sohn erst alt und ich habe ihn gerade per Handschlag gekauft. Wackelig, endlos lange Beine, schräge Schulter und ein Holsteinerbraun mit kleinem Stern.
Nie wieder wollte ich ein Pferd kaufen – das hat ja einwandfrei funktioniert.
Während ich noch darüber nachdenke, kaut der kleine Spaßvogel an meinen Fingern herum.
Genau zwei Minuten nach dem Handschlag mit der Züchterin turnt mein Fohlen auf dem Platz herum, frisst die Vlieshäcksel der Reitplatzeinstreu, schluckt sie herunter und arbeitet die Fressversuche mit seinen langen Beinen zu Yogaübungen aus. Beim zweiten Versuch überschlägt es sich fast und weicht nur um Haaresbreite einem gepflegten Genickbruch aus.
Daraufhin verlieren die Vliesstückchen seine Aufmerksamkeit und es prüft nun die marode Reitplatzbegrenzung auf ihre Haltbarkeit.
Schnell ist die Entscheidung gefallen, dass der angrenzende Betonpaddock für die nächsten Tage genutzt werden soll, da die Hauswiese nach dem Kalken noch keinen Regen abbekommen hatte.
Wir gestalten die Einfassung des Paddocks um, bei der Holzpaletten alle „Durchkletter-Versuche“ zunichtemachen sollen. Am Ende gleicht der Paddock einem Fort Knox Hochsicherheitstrakt.
Nach dem ersten Regen, der den Wiesenkalk endlich in den Boden spülte, wurde die Wiese am Haus zusätzlich mit rot-weißem Flatterband eingefasst. Teilweise waren neue Litzen gespannt worden und die Strompower wurde erhöht. Nach etwas Übung lässt sich mein Fohlen inzwischen brav das Halfter an- und ausziehen. Allerdings passt nur das rosafarbene – das blaue oder grüne Halfter wär für einen Hengst ja auch zu schön gewesen …
Das erste Mal auf der Weide
Auf dem Weg zur Wiese lässt sich mein Fohlen um den ganzen Hof herum hinter seiner Mutter herführen. Bis zum Betonpaddock geht alles gut, doch als Mama weitergeht, verlässt ihn der Mut. Der ganze Stall wiehert, Mama wird ungeduldig und wiehert auch. Endlich auf der Weide angekommen, ist es sichtlich eingeschüchtert.
Die junge Mama lässt ihrer Freude freien Lauf, bockt, tobt und keilt aus – immer dicht am Kopf meines Fohlens vorbei.
Eine halbe Stunde später schleicht der kleine Mann am Strick neben mir her. Im Gehen fallen ihm die Augen zu. In der Box angekommen, lässt er sich widerstandslos alle vier Hufe hochheben – er ist zu müde zum Steigen und Wehren. Ich gebe zu, es ist nicht ganz fair von mir, das auszunutzen.
Zwei Tage später, Mutter und Kind sind schon draußen, komme ich um die Ecke. Mein Fohlen hört mich, reißt den Kopf hoch und kommt wiehernd auf mich zu galoppiert. Wie kann ich jemanden dieses Gefühl, das mich in diesem Moment ergriff, beschreiben, der noch nie etwas mit Pferden zu tun hatte?
Ich fahre zur nahegelegenen Jährlingswiese und verbringe drei Tage damit, neue, strahlend weiße, breite Litzen zu ziehen und die Wiese mit rot-weißem Flatterband einzufassen. Die drei Jährlingsstuten und das Pony Sarah verfolgen mit ihren Blicken meine Arbeit auf Schritt und Tritt – was geht hier vor?
Das erste Verladen
Sechs Wochen nach der Geburt ist es endlich so weit: Der Anhänger steht auf dem Hof und Mutter und Kind sollen umziehen. Da die Mama das Verladen kennt, steigen beide fast problemlos ein. Die Züchterin fährt die wenigen Kilometer zur neuen Wiese. Mein Fohlen hat beim Abladen kein einziges nasses Haar – endlich passiert etwas Neues.
Wir führen die zwei zum Offenstall. Als Mama sich nicht durch die Paddocktür traut, gehe ich mit dem kleinen Mann vor. Er hat keine Zeit zu warten, denn er hat die anderen Pferde schon gesehen und will etwas erleben. Nachdem ich beiden die Halfter abgenommen habe, geht die Toberei los.
Die junge Mutter versucht, ihr erstes Fohlen von den anderen Pferden abzuschirmen, aber bereits nach wenigen Minuten rennt mein Fohlen allen vorneweg und die ganze Herde folgt ihm.
Nach zehn Minuten beginnt der junge Hengst ein Spiel: Wenn alle hinter ihm her sind, springt er durch die offene Tür in den Paddock hinein, rennt in den Offenstall und versteckt sich hinter dem großen Stalltor. Während Mama panisch schreiend über die Wiese rennt, steht mein Fohlen zusammen mit dem Pony Sarah im Offenstall – ich schwöre: es hat dabei gegrinst!
Zwei Tage später hängt das große Holztor nur noch windschief in den Angeln. Als mein Fohlen mich erblickt, kommt es angerannt und zeigt mir, wie toll man sich daran scheuern kann – während ich Angst habe, dass es von dem 3 Meter hohen Ungetüm erschlagen wird.
Mein Sohn repariert am gleichen Abend noch das Tor, setzt Verstärkungen ein und bohrt in den Beton ein Loch, um einen zusätzlichen Sicherheitsriegel einzusetzen.
Ich habe inzwischen einen Striegel gekauft und stehe in der Mitte der Herde, um mein Fohlen zu schrubben – doch drängeln sich alle Pferde abwechselnd dazwischen. Jedes möchte gestriegelt werden. Ich muss lachen: Wie einfach hat mein Fohlen gerade gelernt, dass „geputzt werden“ das Geilste von der Welt ist.
Nachdem wir das Werk meines Sohnes geprüft haben, indem wir versuchten, mit gemeinsamen Kräften das riesige Holztor aus den Angeln zu heben, steht der Name meines Fohlens fest: Escobar. Was hatte ich alles überlegt: Erdings‘ Son, Escadon, Earl of Covid. Aber „Don Pablo“, der kolumbianische Drogenbaron Escobar, kann sein Umfeld nicht weniger terrorisiert haben, als dieser kleine, braune Hengst inzwischen mein Leben terrorisiert.
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