Das Thema Hengste und Hengsthaltung in Deutschland beschäftigt mich schon lange. Kurz nachdem ich Escobar im April 2020 gekauft hatte, begann ich gezielt nach neueren Informationen dazu zu suchen. Wie der Zufall es wollte erschien prompt in der Ausgabe 4/2020 in dem landwirtschaftlichen Magazin „Pferdebetrieb“ der Artikel: „Hengsthaltung – Mehr Sozialkontakt auf der Koppel und im Stall“.
In diesem Artikel wurde von den Projekten des Schweizer Nationalgestüts in Avanches berichtet, die Deckhengste seit 2009 nach der Decksaison zusammen in Gruppen auf der Weide hielten und von den Versuchen sogenannte Sozialboxen für Hengste einzurichten. Genau das war meine Frage: Kann man Hengste zusammen in Gruppen halten, oder gibt es dann nur Tote und Verletzte? Corona bedingt kam ich nicht in die Schweiz und trotz umfangreicher Suche, fand ich keine neuen Veröffentlichungen dazu von der Forschungsgruppe aus Avanches.
Jetzt wollte ich der Sache auf den Grund gehen und endlich stehe ich Montagmorgen vor den Toren des Nationalgestüts. Gerade als ich aus dem Auto steige, kommen mir fünf Reiter entgegen und verabschieden sich in Richtung Gelände.
Ich betrete das Gestüt. Der Paradeplatz liegt still und unberührt da. Nichts deutet mehr daraufhin, dass hier am Vortag noch ein Turnier stattgefunden hat. Keine Menschenseele ist zu sehen. Die öffentliche Dokumentationsstelle – geschlossen.
In der Besamungsstation der ISME treffe ich endlich auf Menschen
Die junge Kollegin begrüßt mich freundlich. Sie erzählt mir davon, dass sie als Tierärztin häufig dabei war, wenn die Hengste auf die Sommerweide gingen, aber dass nie etwas passiert sei. Dann ist so lieb und telefoniert. Ich habe einen Ansprechpartner und sie erklärt mir den Weg zu dem Bürogebäude.
Anja Zollinger – wissenschaftliche Mitarbeiterin der Gruppe Equiden der schweizerischen Forschungsgruppe von Agroscope begrüßt mich strahlend. Sie hätte zwar eigentlich keine Zeit, aber gerne würde sie mir etwas zu meinem Thema erzählen. Wir verlassen das Gebäude und kehren zu den vielen Hengstpaddocks hinter den Stallungen zurück.
Jetzt im Mai seien nur 20 der insgesamt 60 Gestütshengste in Avanches. Die anderen stünden verteilt auf den verschiedenen Deckstationen in der Schweiz. Trotz Besamung und Embryotransfer decken noch viele der Freiberger Hengste im Natursprung. Gut das kam mir vom Nordrhein-Westfälischem Landgestüt aus meiner Warendorfer Zeit sehr bekannt vor. Allerdings die vielen Hengstpaddocks beeindruckten mich.
Die 20 Hengste würden jeden Tag mehrere Stunden auf den Paddocks verbringen, gingen täglich in die Führmaschiene und würden 4-5 die Woche geritten und/ oder gefahren. Jetzt wäre es kein Problem die Hengste stundenlang auf den Paddocks zu lassen, aber wenn alle 60 Hengste auf dem Gestüt wären, entstünde ein Platzmangel. Daher sind inzwischen alle Paddocks mit Dächern ausgestattet unter denen Heuraufen befestigt werden können. Nach dem Ende dieser Decksaison soll die Rotation auch die Nächte mit einbeziehen, sodass die Hengste alle täglich ausreichend lange Zugang zu freiem Auslauf erhalten können. Lachend berichtet Frau Zollinger über die schrägen Dächer. Man hatte geglaubt, dass die Hengste über die Zäune hinweg steigen würden und man hat deswegen die hohen Dächer installiert, damit sie sich nicht die Köpfe anschlagen. Wenn die Hengste regelmäßig rauskämen, passiert das aber gar nicht, so dass die Dächer auch normal hätten gebaut werden können.
Fensteröffnungen in den Gitterboxen
Seit Jahren schon wurden in allen Boxen Fensteröffnungen eingeführt, sodass die Hengste in die Stallgasse schauen können. Dieses Thema war Frau Zollinger sehr wichtig. Hatten doch ältere Mitarbeiter sich lange dagegen ausgesprochen gehabt, genauso wie die 4x am Tag durchzuführende Heufütterung, die angeblich nicht praktikabel gewesen wäre. Aber inzwischen sei das normaler Alltag geworden und es wäre so viel Ruhe in die Hengste eingekehrt, dass selbst das Führen eines anderen Hengsten an den Köpfen vorbei in den engen historischen Stallgassen so gut wie nie zu Problemen führt. Alle Bereiter des Gestüts hätten bestätigt, dass die Fensteröffnungen definitiv zu mehr Ruhe der einzelnen Hengste und damit in dem ganzen Betrieb beigetragen hat.
Auf meine Frage bezüglich der Sommerweide, wird Frau Zollinger traurig. Das hätte immer super funktioniert, aber das Gestüt hat vor zwei Jahren die 3 Km entfernte Weidefläche verloren. Es gäbe jetzt gerade Verhandlungen für neue Flächen, aber der Kauf ist noch nicht erfolgt.
Wie waren die Erfahrungen zur Gruppenhaltung auf der Sommerweide?
Im Rahmen des Forschungsprojekts kamen 6-7 ausgewählte Hengste des Gestüts auf die Sommerweide. Das waren Hengste, die krank gewesen waren, oder bei denen der Eindruck entstanden war, dass sie psychisch eine Auszeit brauchten. Leider lies das Flächenproblem in der Schweiz eine Ausweitung der Hengstgruppenhaltung auf der Sommerweide nicht zu. Mit Bedauern betrachtet die Forschungsgruppe und das Gestütspersonal, dass der überwiegende Teil der Hengste, nach den ersten zwei Lebensjahren nie mehr Gras und Weide sieht.
Für die Sommerweide wurden allen Hengsten, soweit vorhanden, die Hufeisen abgenommen. Das Ergebnis war: Die Hengste spielten zwar, aber es hat in den Jahren von 2009 bis 2020, in der das Sommerweide Projekt stattgefunden hat, nie behandlungswürdige Verletzungen oder bedrohliche Attacken der Hengste untereinander gegeben.
Sozialbox
Ein spannendes Projekt in Avanches ist die Sozialbox. Dazu erhalten zwei aneinander liegende Boxen zwei bis zum Boden reichende Öffnungen. Die Abstände zwischen den Stangen lassen zu, dass die Pferde zwar Beine, Hals und Köpfe durchstecken können, aber der Rahmen begrenzt die Schulter. Dabei ist die induviduelle Breite angepasst für die Pferde verstellbar, erste Versuche mit Polsterungen der Stangen scheiterten, weil die Pferde diese abgefressen haben. Anfangs kam es immer zu leichteren Blessuren, weil die Öffnungen oben zu niedrig gehalten waren und sich die Pferde den Kopf stießen, oder weil die Stangen durch Anschlagen am Kopf, v. a. am Augenbogen verursachten. Nun aber mit den hohen Öffnungen und den drehbaren Hartplastik Umhüllungen der Stangen, wären diese Anfangsprobleme aus der Welt.
Auffallend ist in dem Projekt, dass die zwei Hengste in den Sozialboxen im Durchschnitt 50 min. am Tag mit Spielen/ und gegenseitiger Fellpflege verbringen. Viel aber auch mit den Köpfen beieinander fressen, oder sich dicht beieinander neben die Öffnungen legen. Einmal nur waren in dem Projekt zwei Hengste nebeneinander gestellt worden, die sich nicht mochten. Aber dann ignorierten sich die Beiden überwiegend und auch dabei ist es zu keinen Verletzungen gekommen.
Aus den vielen positiven Erfahrungen heraus, ist es jetzt genehmigt worden, dass deutlich mehr Boxen des Gestüts in Sozialboxen umgewandelt werden. Dazu sollen diese auf drei nebeneinanderliegende Boxen erweitert werden. Die Boxengrößen werden vergrößert, sodass auch der mittlere Hengst genug Ausweichmöglichkeiten erhält. Die Selbsttränken müssen aus dem Bereich neben den Öffnungen auf die andere Seite versetzt werden, damit auch diese Verletzungsgefahr im Falle des Steigens und Reingreifens mit den Hufen, entfällt.