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17 Vertrauensbildende Maßnahmen – Arbeit mit Pferden und Hengsten

Vertrauensbildende Maßnahmen – Arbeit mit Pferden und Hengsten

„Niemand von uns Menschen hat das Recht, zu einem Mitmenschen oder einem Tier zu sagen: ,Entweder du machst, was ich dir sage, oder ich werde dir wehtun.‘ Gerade die Pferde lehren uns, dass Gewalt keine Lösung ist – weder für den Täter noch für das Opfer. Wenn Gewaltanwendung für Mensch und Tier eine solch große Bürde ist, dann wird es Zeit, die Spirale der Gewalt endlich zu durchbrechen.“ (Monty Roberts, 1996)

Wenn man viel mit Pferden umgeht, so kommt jeder früher oder später an die Grenze seiner Einflussmöglichkeiten, wenn 300kg bis 1500kg Lebendmasse so völlig andere Ideen haben als man selbst. Als Tierarzt bin ich übrigens auch schon mal bei den knapp 100 kg eines Falabellaponys an dieser Grenze gewesen. Noch spannender wird es, wenn sich zur der körperlichen Lebendmasse noch Hormone wie Testosteron und Adrenalin dazugesellen, welche den Hengsten zusätzlich noch den normalen Verstand nehmen und das Ansprechen auf jegliche Kommunikation ohnehin nicht mehr zulassen.

Respekt …

Ist der Schlüssel zum Erfolg. Aber was viele vergessen: Damit ist der Beiderseitige Respekt gemeint, sonst sind wir wieder bei dem Ausgangspunkt des Zitates von Monty Roberts (s.o.) angelangt. Wenn wir von unserem Gegenüber Respekt für unsere Person erwarten, müssen wir diesen Respekt auch dem Pferd gegenüber entgegen bringen. Das funktioniert natürlich nicht, wenn der Hengst bereits starr ausgeschachtet hat, sich aufgebaut und gar nicht mehr ansprechbar ist. Diese Situation müssen wir vorher im Training vorbereitet haben.

Vertrauen und Zuverlässigkeit eines Hengstes in den verschiedensten Situationen muss ich mir im Vorfeld sorgfältiger erarbeiten, als dies für Stuten und Wallache gilt. Das Prinzip ist aber für alle Pferde gleich.

Pferde sind Herdentiere und folgen nur den Leittieren, denen sie auch zuverlässige, korrekte Entscheidungen in allen Situationen zutrauen. Leittiere sind nie laut, aggressiv oder wechselnd in ihren Aussagen. Leittiere strahlen Ruhe, Souveränität und Sicherheit aus. Wir folgen einem solchen Chef auch lieber, als einem cholerisch, herumschreiendem HB-Männchen.

Diese Entscheidungssouveränität muss ich mir aber bei meinem Pferd erarbeiten. Pferde wählen sehr sorgfältig aus, wem sie diese Aufgabe zutrauen und wem nicht. Hat ein Pferd aber Vertrauen gefasst folgt es uns erst Mal. Dies ist aber dünnes Eis, wir müssen diesen Vertrauensvorschuss immer wieder neu bestätigen, gelingt uns das nicht, wird es in Zukunft nicht einfacher. Die Pferde verzeihen uns Fehler, das macht sie zu so großartigen Tieren, aber nicht unbegrenzt. Reflektieren wir also unser Handeln und machen uns unsere Fehler bewusst, denn wenn etwas schiefläuft und das Pferd Angst bekommen hat, sind wir Menschen es, die in ihrer Führungsrolle versagt haben.

Hooking (angeln) and Dancing (führen)

Das was Monty Roberts erstmalig vor einem viertel Jahrhundert als Join-up (= mitmachen) bezeichnet hat, ist leider durch die vielen lautstarken Kritiker begrifflich bei einigen in Verruf geraten. Buck Brannamann bezeichnet es als Hooking, also sich das Pferd angeln, wieder andere sagen Joyn up, also Spaß haben. Für mich ist die Begrifflichkeit völlig egal.

Dieser Einstieg ist auch nur dann nötig, wenn das Pferd einen überhaupt nicht wahrnimmt, oder dem Menschen aufgrund seiner bisherigen Lebenserfahrung misstraut und/ oder sich dem Menschen gegenüber sogar aggressiv verhält. Ich finde Buck Brannamann erklärt diese „Abholen“ der Pferde auf seiner ersten DVD 7 Clinics (english) sehr schön. Es ist die alte Join-up Geschichte eines Monty Roberts, die vielfach überall gezeigt wird und im Fernsehen fast täglich von Raphael Dysli und Bernd Hackl und vielen anderen Pferdetrainern erklärt wird.

Die meisten Pferde aber sind bei uns in Deutschland dem Menschen schon sehr zugetan. Sie Fragen uns ständig was wir von Ihnen möchten, ob wir sie führen, putzen, reiten, verladen, nur leider antworten viele Menschen ihren Pferden nicht, oder nur sporadisch oder mit wechselnden Aussagen. Dadurch beginnen viele Pferde ständig selbst zu entscheiden und zu tun, was sie gerade für richtig halten, oder was ihnen gerade einfällt.

Ich traue mich dies in dieser Deutlichkeit zu schreiben, weil ich das seit Jahren schon als Reiter und als Tierarzt wusste, ich aber das ganze Ausmaß diesen Dilemmas erst in den letzten Monaten bei mir und meinem Hengst selber erkennen musste. Jahre habe ich während meiner Arbeit mal Lutz Leckebusch, mal Anne oder Bernd Osterhammel und andere gesehen. Ich dachte immer mir wäre völlig klar, wie und warum sie am Boden mit den Pferden arbeiten. Ehrlich gesagt habe ich es nicht gewusst und schon mal gar nicht konnte ich es praktisch selber umsetzen.

„Wenn du weißt, weißt du erst was du alles nicht weißt.“ (Konfuzius)

Den Anfang machte Escobar und Lutz Leckebusch (s. Escobar-Hengst Block 15).

Dann schaute ich mir Kenzie Dyslis DVD „Motiviere dein Pferd“ an, fuhr in Stall und Escobar verstand Null, was ich mir Zuhause noch so schön vorgestellt hatte.

Schließlich bekam ich zu Weihnachten das Buch „human brain – horse brain“ geschenkt und nun breitete sich bei mir im Kopf ein völliges Chaos aus. Wie war das?

„Wenn du weißt, weißt du erst was du alles nicht weißt.“ (Konfuzius)

Ich machte einen Termin mit Anne Osterhammel und sie steht am Rand, während ich in der abgetrennten Halle eines ihrer Pferde bewegen soll. Nur mit einem Seil bewaffnet, soll ich das Pferd nur aufgrund meiner Gedanken und meiner Körpersignale im Schritt, Trab, Galopp und mit Handwechsel bewegen. Kein Problem, das kann ich. Anne setzte aber einen drauf: „Dabei bist du aber stumm, versuche es ohne Stimme.“

Bitte? Ich drehe mich zu der Stute um und denke nur: Okay, Eva Klappe halten. Erst geschieht gar nichts; ich mache mich groß, atme tief ein und hebe das Seil, die Stute trabt an, wird schneller, galoppiert an, ich entspanne mich, atme aus, die Stute fällt in Schritt. Hey das klappt gut und ich wechsel ständig die Gangarten, dann die Richtung – es läuft. Bis Anne sagt: „Eva bitte mache nicht so einen Stress.“

???

Ich möchte nicht, dass sich dein Pferd mit mir langweilt, antworte ich. Anne lacht laut los.

„Das Ziel ist: Du bittest das Pferd zu traben, die Stute trabt an und du signalisierst ihr ‚Ja super das wollte ich.‘ Indem du selber entspannst und ausatmest, zeigst du ihr das das gut war – du lobst sie also dafür, dass sie deiner Bitte gefolgt ist. Dann ist erst Mal Ruhe, vielleicht eine Runde später kommt dann deine nächste Idee, zum Beispiel du möchtest dass sie angaloppiert. Tut sie das, reduzierst du den Druck, den du zum angaloppieren gebraucht hast (Lob), hälst aber in deinem Körper die Spannung aufrecht, die du brauchst damit sie im Galopp bleibt. Dazu stell dir vor was du möchtest: Gangart, Tempo, Richtung – du musst eine genaue Vorstellung davon haben was du wie von ihr möchtest. Wenn du es nicht weißt, wie soll sie das dann wissen?“

Aha. Ohne Stimme, ohne dass ich reite oder einen Körperkontakt mit dem Pferd habe????

Ich nehme es vorweg: Es geht und es ist wie Zauberei. Nach vierzig Minuten war ich nicht mehr in der Lage mich zu konzentrieren; ich war komplett alle.

Ich stieg in mein Auto und hatte die ersten Kilometer Schüttelfrost, so als hätte ich gerade eine zwei Stunden Klausur in der Uni geschrieben. Mittags machte ich einen Mittagsschlaf und fuhr anschließend zu Escobar.

Und? Ich konnte Escobar in der mit Flatterband abgesperrten Halle im Schritt, Trab, Galopp ohne Stimme bewegen, genauso wie Anne‘s Stute am Vormittag. Das gab’s doch nicht. Woher weiß mein nicht einmal 2 ½ jähriger Hengst, was ich von ihm will?

Die Pferde kommunizieren genau so

Inzwischen habe ich es verstanden: Die Pferde kommunizieren genau so. Ich bin 55 Jahre alt, ich habe davon fast mein gesamtes Leben, täglich mit Pferden zu tun und habe davon nichts gewusst/ nicht einmal geahnt.

Im März 23 ist das folgende Video entstanden. Wenn man genau hinschaut, mache ich einige Fehler. Nachdem ersten Trab, wollte ich eigentlich die Hand wechseln, er kam zu dicht zu mir und ich produzierte gewuseltes Chaos. Erst als ich ihn noch einmal stoppte und dann noch einmal linke Hand mit Trab anfing, verstand er mich wieder.

Zweimal brauchte ich ein kurzes Schnalzen, weil mein Körper die Spannung verlor und er nicht verstand, dass ich wollte, dass er angaloppiert. Beim Handwechsel gehe ich nicht klar rückwärts zur Seite, Escobar fragt: „Folgen?/ Wechseln?“ Als ich vor ihm kreuze, versteht er.

Ich will damit sagen: Nichts ist dabei perfekt, aber ich arbeite daran. Was aber auffallend ist, dass Escobar kaum mehr alleine in der Halle rumlaufen will, sondern dass er in der Halle freilaufend immer häufiger sofort zu mir kommt, vor mir mit wachen Augen steht und fragt: „Ok, was machen wir jetzt?“ und dann sichtlich Spaß daran hat meine Signale zu erraten.

Dieses Verhältnis aus der Freiarbeit hat ganz viel in unserem Umgang miteinander im Stall und draußen beim Grasen lassen an der Hand, beim Spaziergehen, beim Reiten im Gelände verändert. Ich spüre wie eine gemeinsame Vertrauensbasis zwischen uns wächst, die auch in Stresssituationen (= Stuten, insbesondere rossige) langsam belastbarer wird und ich ihn schneller wieder auf mich fokussieren kann.

Vertrauen – Fluch oder Segen?

Ich habe in den vergangenen Jahrzehnten einigen Pferden, die das Schild: angeblich „Unreitbar und Schwerverbrecher“ um den Hals hängen hatten, wieder die Freude Reitpferd seien zu dürfen und wieder Freude mit dem Menschen umzugehen, zurückgeben können.

Hat ein solches Pferd, welches einmal in seinen Grundfesten erschüttert worden ist, sich noch einmal auf einen Menschen wieder eingelassen, ist das eine schwere Bürde. Ebenso wie junge Pferde, die dieses von Anfang an gelernt haben. Diese Pferde zu verkaufen, oder sie zurück zu geben in verantwortungslose, grobe Menschenhände ist fast eine größere Tierquälerei, als sie in dem ersten Zustand dort zu belassen. Ich habe ein solches Pferd vierjährig in die Hände bekommen, sechs Wochen später mit ihm mit hohen Wertnoten Dressurpferde A gewonnen und es wurde verkauft. Sechs Jahre später fand ich dieses Pferd ein zweites Mal „hingerichtet“ als „Schwerverbrecher“ in einem Stall wieder. Es wieherte mir zu und ich habe es, noch in der offenen Boxtür stehend, sofort gekauft. Er war bei mir sofort sehr lieb, tat alles um mir zu gefallen, aber es hat beim zweiten Mal nie wieder seine Schönheit und Unbeschwertheit wiedergefunden. Es war in seinen Grundfesten dauerhaft gebrochen.

Wenn wir also mit den Pferden arbeiten und sie uns ihr volles Vertrauen schenken, vertrauen sie uns, wie ein Herdentier seinem Leittier vertraut, dass wir auf sie aufpassen, dass wir Verantwortung übernehmen. Dass diesen Pferden nichts Schlimmes, zumindest mit den Menschen vermeidbares geschieht. Womit wir wieder bei dem Zitat von Monty Roberts angekommen sind – siehe oben.