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19 Wie geht es eigentlich Escobar?

Zurück nach Hause

Wohnzimmer Werserhäuschen/ Landhaus Eggert in Münster Handorf

Während am Freitag die Kurzveranlagungsprüfungen mit Fremdreitertest in ihre letzte Phase gingen, luden wir Escobar auf und machten uns auf den Heimweg. Ich folgte in Münster dem Navi zur Autobahn zurück nach Hause.

Abgefertigt, ausgebremst. Schweigend blicken Marc und ich auf die Autos vor uns. Jeder versunken in den eigenen Gedanken.

Ich sehe Marc vor mir, gestern Abend, in dem kleinen Werserhäuschen des Landhauses Eggert, welches ich für uns alle gemietet hatte. Das Wohnzimmer voll mit Kabeln, seinem Laptop, Starterlisten, Nennungszettel, der Fernseher zeigt Bilder von Escobar. Philipp, Lara, Marc, meine Freundin Sandra und ich sitzen verteilt, mit einem Glas Wein, oder einem Bier in der Hand, im Wohnzimmer.

„Mama, dass ich hier filmen sollte, wusste ich ja, aber dass ich als investigativer Journalist hier unterwegs sein würde, davon hattest du nichts gesagt.“

Nein hatte ich nicht. Ich dachte nie, ich wäre naiv in dieses Projekt gestartet. Verdammt, wie naiv konnte ich sein. Ich ging immer davon aus, dass sie Escobar nicht kören würden – alles andere wäre eine Sensation gewesen. Vielleicht wäre es anderes gelaufen, wenn das St. Georg Magazin den Mut gehabt hätte und wie abgesprochen reell und mit kritischer Berichterstattung Escobar bis hierhin begleitet hätte. Escobar hätte einen anderen Bekanntheitsgrad gehabt und sie hätten uns vermutlich nicht so abgefertigt.

Aber was bei den Zuchtverbänden wirklich läuft, war mir bis hierhin nicht klar und die unverfrorene Art unter dem Radar der Öffentlichkeit völlig frei zu agieren, hatte ich nicht für möglich gehalten.

Marc hatte gestern Abend rumgeblödelt: Mama, wenn es egal ist wie alt Escobar ist, kommen wir einfach jedes Jahr wieder. Es ist doch schön hier. Wir fahren auf den Hof, mit einem  großen Schild an Escobar’s Anhänger:

‚Ungekört, aber gesund und glücklich‘ .

Ich muss lächeln, wenn ich an gestern Abend zurückdenke. Es war ein lustiger Abend gewesen.

Aber was machen wir mit dem was wir gesehen, erfahren und erlebt haben? Nie war es mein Bestreben gewesen die Deutsche Warmblutzucht öffentlich an den Pranger zu stellen, nie wollte ich auf die Ebene einer PETA Organisation sinken, die nach Öffentlichkeit heischend, sinnlos die Pferdewelt kaputt macht. Aber kann es so weiter gehen? Was tun wir diesen Pferden, den Hengsten und unserer Zucht an?

Und was mache ich mit Escobar? Bis hierhin konnte ich das mit meinem Gewissen vereinbaren. Die drei Tage in Handorf hat er sich großartig benommen und er war ein riesen Schatz. Aber er ist gerade mal 3 Jahre alt, ein Baby noch und eigentlich gehört er meiner Meinung nach auf die Wiese.

Zurück zu Hause

Die Sonne steht an einem strahlend blauen Himmel. Im Gestüt Hillebrecht scheinen alle nicht tragenden Stuten gleichzeitig rossig zu sein und das Anweiden hat begonnen. Wieder Zuhause tanzen Escobar’s Hormone Samba. Ich muss eine Entscheidung treffen. Bis Ende Mai können wir hierbleiben, dann muss Escobar hier weg, weil dann alle Pferde 24 Stunden draußen sind und er alleine im Stall stehen würde. Drei Adressen habe ich, wo Escobar mit anderen Hengsten auf die Sommer Weide gehen könnte: Österreich, Bayern, Niedersachsen.

Würde er mit seinem Selbstbewussstein und seiner Libido die anfänglichen Hengstkämpfe einigermaßen heil überstehen? Und will ich ihn so weit weg bringen, um dann am Telefon zu erfahren, er hat es nicht geschafft und das war’s dann?

Escobar kommt nicht zur Ruhe – den Penis immer ausgeschachtet, immer auf Sendung, tut er mir leid. Die meisten Ställe im Bergischen würden Escobar als Hengst nicht nehmen und die Ställe, die eventuell in Frage kämen besitzen auf den kleinen Graswiesen Zäune, die diesen Namen nicht einmal verdienen. Ohne eigenen Stall einen aufgedrehten Junghengst einigermaßen pferdegerecht zu halten und ihm eine Pause zu gönnen ist im Bergischen nicht denkbar.

In Lohmar in dem Stall der Familie Diekmann könnte er mit einem vierjährigen Wallach den Sommer über auf die Wiese gehen, vorausgesetzt ich würde ihn jetzt kastrieren.

Ich habe es vorher niemandem erzählt. Escobar ist kastriert. Es ist mir unendlich schwer gefallen, aber es ist ihm gegenüber nur fair. Kein Verband würde ihn noch kören und dabei würde es in Zukunft nicht um seine Verereberqualitäten gehen, sondern um meine Berichterstattung.

Er hat dieses Projekt begründet und nun darf er einfach nur Pferd sein und hat alle Zeit der Welt. Aber die ganze Mühe, Geld und mein Engagement müssen einen Sinn gehabt haben – einen Sinn für die jungen Hengste, die noch kommen und für unsere Warmblutzucht und daher schreibe ich weiter.

Escobar zieht frisch kastriert in den Stall nach Lohmar um. Noch ein wenig geschafft startet er sein neues Leben. Endlich darf er stundenweise raus, darf auch mal wieder direkten Haut-Kontakt zu anderen Pferden haben, was er sich so sehnlich gewünscht hat.

Nach drei Wochen ist seine Libido heruntergefahren und er benimmt sich auf der Weide neben anderen Pferden völlig „Wallach“ gemäß. Wir trauen uns den 4 jährigen Wallach Cro und Escobar zusammen auf die Weide zu tun. Ich bin der Familie Diekmann und Cro unendlich dankbar die anfänglichen Schwierigkeiten ausgehalten zu haben. Dieses kleine, großartige Pferd hat Escobar mit einer unglaublichen Souveränität die Regeln der Pferdewelt neu erklärt. Ohne Cro, wäre es nicht so schnell und so gut gelaufen.

Während der großen Hitze im Juni, waren die Beiden nachts draußen. Allerdings hat Escobar wieder einmal seine Springveranlagung unter Beweis gestellt und turnte nachts durch Lohmar Breidt. Marc baute mir wieder mal einen Zaun, sodass wir so langsam überall unsere Visitenkarte hinterlassen haben…

Aber inzwischen genießen die beiden ihren unbeschwerten reitfreien Weide – Sommer und Escobar darf einfach nur Pferd sein. Ich glaube, ich habe es richtig gemacht. Natürlich hatte ich immer davon geträumt einen eigenen Hengst zu reiten, sie sind einfach anders, als  Wallache es je sein können. Aber die eigenen Träume auf Kosten von Escobar zu verwirklichen, wenn er nie hätte regelmäßig decken dürfen und auf Kosten seiner gesamten Lebensqualität in Boxenhaltung, mit vielleicht stundenweisem isolierten Weidegang – das ist grober Unfug.