Als ich im April 2020 Escobar kaufte, erwachte bei mir wieder ein lang vergessener Traum: Einen eigenen Hengst aufziehen, ausbilden und turniermäßig vorstellen. So oft hatte ich Hengste für andere Besitzer geritten, nun sollte es der Eigene sein.
Wenn man aber einen Warmblut Hengst besitzt, taucht, bei entsprechender Qualität des Pferdes, auch die Frage auf, warum ihn nicht zu Körung vorstellen?
Bei dieser Frage schlagen zwei Herzen in meiner Brust. Natürlich darf man träumen einen gekörten Hengst zu reiten, aber acht Jahre Warendorfer Pferdewelt haben Spuren bei mir hinterlassen. Nicht immer ist die professionelle Pferdewelt von Pferdeliebe geprägt und Warmblutkörveranstaltungen bilden da wahrlich keine Ausnahme.
Wollte ich das meinem Hengst zumuten?
Um dieser Frage auf den Grund zu gehen, habe ich meinem Hengstfohlen in seiner zweiten Lebenswoche erst einmal Blut abgenommen. Ein Pferd zu versuchen in die Zucht zu bringen, der den Gendefekt WFFS (Warmblood fragile foal syndrom) trägt, kam für mich ethisch nicht in Frage. Escobar ist WFFS frei. Soviel dazu.
Hauptkörung in Verden/ Aller
Am Donnerstag den 4. November ‘21 machte ich mich auf den Weg nach Verden. Während mein Hund und ich auf den Beginn des Freispringens warteten, lese ich den Willkommenstext im Veranstaltungskatalog vom Zuchtleiter des Hannoveraner Verbandes Ulrich Hahne.
„…Die Hengstauswahl fand in diesem Jahr erstmals einen Monat später statt. Dies ist eine Maßnahme beim Versuch, Selektion, Vermarktung und Tierwohl der jungen Hengste in eine Balance zu bringen und wir werden weitere Maßnahmen ergreifen müssen, wenn wir auch in Zukunft unsere jungen Hengste zweijährig im Herbst auf der Dreiecksbahn, dem Herzstück unserer Körung begrüßen wollen. Das Wohl unserer jungen Pferde ist uns ein Anliegen. …“
Der erste Hengst betritt die Niedersachsenhalle, leise Musik läuft im Hintergrund. Die wenigen Zuschauer, die verteilt auf den Tribünen Platz genommen haben, verhalten sich ruhig. Um es für die Insider vorweg zu nehmen: Es war der identische Ablauf wie beim letzten Vorkörungstermin in Wickrath. Ich habe allen 64 Hengsten auf der angenehm beheizten Tribüne mit Freude zugeschaut. Die Ruhe in der Halle, die Ansprache und das Loben der Hengste, das Zeigen aller drei Sprünge und das Hereinführen der Hengste am Laufseil in die Sprungreihe, es war fünf Stunden lang ein Genuss zuzuschauen. Nur zwei Hengste wirkten deutlich gestresst, stiegen am Ende der Freisprungreihe und traten mehrfach gezielt nach den Personen, die sie am Kopf nehmen wollten. Diese Beiden wirkten auf mich völlig „überpowert“. Alle anderen aber zeigten ein aufmerksamen Körperausdruck, kamen gut durch die Sprungreihen und konnten die Aufgabe ohne übermäßigen Stress bewältigen.
Die wenigen Zuschauer applaudierten nicht und damit kamen die jungen Pferde gelassen in die Halle, hatten Zeit die Aufgabe zu erfassen und erledigten sie ohne irgendein Problem – alle. Bei vorwärts stürmenden Pferden wurde eine Zwischenstange gelegt, die es den Pferden leichter machte den Rhythmus zwischen dem ersten und dem zweitem Sprung zu erhalten. Hier ein großes Lob an diesen jungen Mann, der das super einschätzte und an alle Peitschenführer, die einen tollen Job machten und viel Gefühl bewiesen. Trabstange und Zwischenstange waren halbiert, so dass sie nicht wegrollen konnten und somit die Pferde auch nicht Gefahr liefen sich zu verletzen.
Als beim letzten Hengst die ersten Zuschauer aufstanden und Unruhe in der Halle entstand, erschrak der Hengst am Einsprung furchtbar. Sofort erfolgte die Ansage des Hallensprechers: „Bitte die oberste Stange herunter legen, bitte bleiben Sie an ihren Plätzen, der Hengst soll die gleichen Bedingungen erhalten und wir geben ihm die Zeit die er braucht.“
Super – und es hat auch funktioniert.
Die berühmte Dreiecksbahn
Am nächsten Morgen freute ich mich auf den Fortgang der Veranstaltung. Bei kaltem Herbstwetter, aber bei strahlendem Sonnenschein, stand ich, zusammen mit hunderten Zuschauern an der Dreiecksbahn und wartete auf den Auftritt des ersten Hengstes.
Die Hengste steppten einer nach dem anderen um die Bahn, die Führprofis leisteten einen Mega Job. Auch wenn so manch ein Zweibeiner schon mal an die Grenze seiner Lauffähigkeit kam, wenn die Hengste so angemacht daher kamen. Ja der Streßpegel bei den Pferden stieg, erst recht, wenn die Musik an der letzten Trabbahn lauter wurde. Aber hier werden auch die Züchter gefeiert, die so wunderschöne Zuchtprodukte produzieren, da darf das auch mal sein, finde ich. Wenn man allerdings nicht hinter den Stalltrakt schaute, wo der eine oder andere Hengst mit Aufziehzügel über dem Genick mehr als nötig parat gemacht wurde. Das ist so überflüssig – die Pferde sind auch so wunderschön, mit Angst im Auge traben sie nicht besser und schöner werden sie dadurch auch nicht.
Longieren der Dressurhengste
Total durchgefroren freute ich mich am Ende wieder auf die beheizte Tribüne zu kommen und nun diese tollen Pferde an der Longe zu sehen. Aber was nun kam – damit hatte ich nicht gerechnet. Jeder Hengst wurde von dem Hallensprecher so angekündigt, als wären wir schon am Samstag mitten in der Hengst-Auktion gelandet. Mit Ausbindern so eng ausgebunden, dass es wehtat hinzuschauen, wurden die Hengste mit ununterbrochenen Aufwärtsparaden der Longenhand und Peitscheneinsatz zu Zirkuspferden degradiert.
Takt, Losgelassenheit und Rhythmus wurden ausgehebelt zugunsten von Effekt heischender Vorderbeinstrampelei. Unterstrichen wurde das Ganze von lauter Zirkusmusik.
Ein Hengst versuchte dem Druck auszuweichen und kämpfte gegen den Pullerriemen an, öffnete das Maul so viel wie es ihm überhaupt noch möglich war und streckte rechts die Zunge raus. Mitten in dem Longierzirkel, vor der Körkommission und vor hunderten von Zuschauern, zog der Longenführer den Pullerriemen nach, dass dem Pferd fast die Luft wegblieb.
Es sind nicht nur die 7 Minuten, die jeder Hengst dies in der Niedersachsenhalle aushalten musste, sondern es ist die Zeit die die Hengste diese Vergewaltigung in der ganzen Vorbereitung mit Aufsatzzügeln u.ä. ertragen mussten.
Wir feierten zu Recht eine TSF Dalera BB in Tokyo, die uns allen endlich mal wieder gezeigt hat, wie schön Dressurreiten und eine korrekte klassische Ausbildung sein kann und lassen so etwas mit unseren jungen Hengsten zu? Warum zahlen die Besitzer der Hengste so viel Geld an die „Profi-Hengstausbilder“ in der Körvorbereitung, um so einen pferdeverachtenden Unfug zu produzieren?
Welche Körkommission kann den Bewegungsablauf der Hengste unter dieser Art der Vorstellung beurteilen?
Mehrere Hundert Zuschauer, die doch so viel Pferdefachkenntnis haben, schauen zu und sagen nichts? Hier kann nur in Zukunft die Körkommission Einfluss nehmen, wenn sie das nicht mehr sehen will, dann müssen die Hengste weder in der Vorbereitung, noch während der Körung so leiden.
Zu überlegen wäre auch, ob man nicht das Ausbinden mit Dreieckszügeln, entgegen der klassischen Richtlinien zulassen sollte. Dann könnte man die jungen Pferde länger ausbinden, ohne dass sie hoch in die Tribünen schauen, weil sie nach oben leichter zu begrenzen sind. Zumal ohnehin kaum noch jemand Dressurpferde in der täglichen Arbeit mit Ausbindern longiert. Die jungen Hengste würden es gleich richtig lernen, nämlich sich taktmäßig , losgelassen und ohne Angst vor der Peitsche, vertrauensvoll zu bewegen. Es sind alles qualitativ hochwertige Pferde und es wäre eine Freude sie auch bei der Körung so sehen zu dürfen.
Als Ergebnis hätten wir dann in Zukunft auf der Körung auch weniger Hengste mit Beckenschiefständen, zu lockeren Iliosakralgelenken (ISG) und blockierten Lendenwirbeln, wie ich als Tierärztin auf dem Pflaster bei den Vorkörungen gesehen habe, weil die Vorbereitung mehr mit korrekter physiologischer Ausbildung der jungen Pferde zu tun hätte. Dann hätte auch die Körkommission und die Käufer der gekörten und nicht gekörten Hengste eine Chance, die mit solchen Krankheitsbildern einhergehenden Taktstörungen auch zu sehen.
Das bei jeder Vorstellung mit angesagt wurde, ob die jeweiligen Hengste Extensions, oder Tupé tragen ist aus Käuferrecht heraus verständlich. Mir stellte sich dabei nur die Frage, ob gut entwickeltes Langhaar nicht auch ein Vererbungsmerkmal ist. Immerhin betraf diese Abweichung über 17 % (11 Pferde) des diesjährigen Hannoveraner Dressurhengstlotes (64 Pferde). Mich hätte auch interessiert, ob die Hengste WFFS-Träger oder WFFS-frei sind. Laut Katalog sind diese Angaben nur über die Tierarztpraxis zu erfragen.
Lieber Escobar,
Ehrlich gesagt: Ich bin nicht sicher, ob ich dir das antun soll. Ich werde im Januar noch einmal nach München fahren. Dort findet die Körung des Deutschen Sportpferdes erst Mitte Januar statt, das heißt du hättest in deinem zweiten Lebensjahr, nächstes Jahr, mehr Zeit den Sommer auf der Weide zu genießen.
Und nach diesem Artikel würden wir vermutlich in der Vorauswahl des Hannoveraner Verbandes ohnehin nur den Satz hören:
„Vielen Dank für’s zeigen, es geht aber leider nicht.“