Escobar – der erste Winter im neuen Aufzuchtstall
Ich denke, es gibt heute keine Diskussion mehr darüber, dass Fohlen und Jungpferde in Gruppen aufwachsen sollten. Aber über die Art und Weise, wie die Gruppenhaltungen – vor allem in den Wintermonaten – gestaltet werden, klaffen Wunsch und Wirklichkeit weit auseinander. Daher sollte man sich darüber Gedanken machen, ehe die Fohlen abgesetzt werden.
Der geeignete Aufzuchtbetrieb
Nur wenige Wochen, nachdem ich Escobar gekauft hatte, trieb mich diese Frage schon um. Ich googelte, telefonierte und fragte. Am Ende blieben drei Plätze übrig, die ich mir anschauen wollte. Pferde, als Fluchttiere, haben auch im Winter täglichen Bedarf an mehrstündiger Bewegung. Vor allem bei wachsenden Jungpferden können sich nur über die Bewegung Skelett, Muskulatur, Sehnen und Bänder gesund entwickeln.
Typisch für Pferde ist das Ruhen im Stehen, aber Jährlinge verbringen über 50 Prozent ihrer täglichen Ruhezeit im Liegen. Dafür benötigen sie einen trockenen, formbaren Untergrund, ausreichend Platz und natürlich Ruhe in der Gruppe, die genügend Sicherheit bietet, auch in die tieferen Schlafphasen zu gelangen. Vor allem die rangniedrigeren Jährlinge tun sich damit schwer, wenn nicht ausreichend Platz zur Verfügung steht. Damit waren die ersten Kriterien schon definiert: genügend Platz, freie Bewegung, Gruppengröße, die je nach Platz bei sechs bis zehn Absetzern liegen sollte.
Böden, Futter, Wasser …
Unterschiedliche, trittsichere, rutschfeste Böden sind vor allem bei Absetzern wichtig. Die Hufe müssen sich von einem steilen, spitzen Fohlenhuf zu einem breiteren, flachen Jährlingshuf umformen. Werden die Absetzer im ersten Winter nur auf Matratzenstreu und tiefen Paddock-Sandboden gehalten, treten hier die ersten Probleme auf, die sich in der gesamten Knochenentwicklung des Skeletts fortsetzen. Daher nächstes Kriterium bei der Stallsuche: verschiedene Bodenverhältnisse, über die die Absetzer laufen müssen.
Mehrere Zugänge zu frischem Wasser, qualitativ hochwertiges Strukturfutter zur freien Verfügung, welches vor Verschmutzung geschützt ist und idealerweise Einstreu mit Langstroh, erscheinen selbstverständlich, sind es in der Praxis nur nicht immer.
Zäune und räumliche Gegebenheiten
Zäune und sonstige Einrichtungen müssen die größtmögliche Funktionalität und Sicherheit bieten. Vor allem Hengstfohlen müssen miteinander raufen können. Dabei werden verschmutzte, durchhängende Litzen mit weniger als 3000 Volt meist überhaupt nicht wahrgenommen und führen schnell zu lebensbedrohlichen Verletzungen. Hohe, stabile Holzzäune sind zwar das Optimum, aber mehrreihige, stabil gespannte breite Litzen mit ausreichend Strom passen bei entsprechendem Platzangebot auch.
Unterstände bei winterlichen Witterungsverhältnissen müssen so viel Platz bieten, dass alle Herdenmitglieder sie gleichzeitig nutzen können.
Pferde haben einen hohen Licht- und Frischluftbedarf, sind aber gegenüber Zugluft sehr empfindlich.
Geschlossene, flache Ställe mit – bedingt durch Matratzenstreu – hoher Luftfeuchtigkeit, hohem Ammoniak- und CO2 Gehalt, ohne freien Zugang nach draußen und der Möglichkeit, Herz-Kreislauf – und Atmungsapparat zu belasten, sollten eigentlich der Vergangenheit angehören. Wenn Fohlen sechs Monate ihres ersten Lebensjahres in einem beengten, dunklen Stall auf Matratzenstreu und schlechter Luft verbringen müssen, können sich daraus keine gesunden, leistungs- und widerstandsfähigen Pferde entwickeln.
Idealerweise haben die Pferde freien Zugang zu geschützten Stallbereichen und offenen Außenflächen, dann regelt sich die Sache mit Luft, Licht, schädlichen Dämpfen und Feuchtigkeit von alleine.
Erziehungsfragen
Last but not least ist der vertrauensvolle Umgang mit dem Menschen vor allem in der Herde und im ersten Winter nach dem Absetzen wichtig, was eine hohe Fachkompetenz des Betriebspersonals voraussetzt, die täglich mit den Tieren Kontakt haben – oder vielmehr: haben sollten.
Um die Sozialkompetenz der Hengstfohlen zu erhöhen, wäre es gut, einen oder auch zwei ältere Wallache mit in der Gruppe zu halten.
Regelmäßige gemeinsame Entwurmung der gesamten Gruppe am gleichen Tag, mit dem gleichen Wirkstoff und entsprechenden Hygienemaßnahmen (vollständiges Ausmisten und desinfizieren) über drei bis fünf Tage im Anschluss müssten angesichts der Parasitenresistenzlage heute Standard sein.
Persönliche Erfahrungen
So selbstverständlich sich diese Vorgaben anhören, so wenig selbstverständlich sind die wirklichen Verhältnisse, die man bei der Suche nach einem geeigneten Aufzuchtstall antrifft. Mir selbst ist es passiert, dass mein Hengstfohlen anfangs in einem scheinbar perfekten Aufzuchtstall gelandet war. Erst nach Aufstallung zeichnete sich aber ab, dass die Belegung des Laufstalls deutlich über der abgesprochene Anzahl von Fohlen lag, die tägliche freie Bewegung nicht stattfand, die Fütterung mit Rindersilage, anstatt mit Heu zu Durchfall in der gesamten Gruppe führte und dass Platz- und Lichtmangel unter dauerhafter Radiobeschallung die ganze Gruppe stresste.
So traurig und enttäuschend solche Erfahrungen sind, es hilft dann nichts, man muss die Konsequenzen ziehen und das Fohlen aus der gefügten Gruppe herausnehmen und in eine bessere Aufzucht bringen. Der Stress, den so ein Wechsel sowohl in der alten als auch in der neuen Gruppe sowie bei dem betroffenen Absetzer selbst verursacht, ist beträchtlich. Von dem Stress, den man als Besitzer hat, mitten im Winter einen neuen geeigneten Platz zu finden, mal ganz abgesehen. Aber in meinem Fall war das alles das kleinere Übel.
Auch wenn man die Aufzuchtsställe im Vorfeld im Sommer besucht, ist es keine Garantie dafür, wie es dann in Praxis tatsächlich im Winter abläuft. Daher müsste man sogar schon im Winter zuvor mit der Suche beginnen und man sollte auch mal unangekündigte Besuche im Aufzuchtstall mit einplanen.
Ich höre schon den Aufschrei der Stallbetreiber, während ich diese Zeilen schreibe. Aber das hat meiner Meinung nach nichts mit Misstrauen zu tun. Viele Aufzüchter machen einen tollen Job, viele leider aber auch nicht. Die Welt sieht manchmal anders aus als abgesprochen, und die Höhe der monatlichen Zahlungen geben die geringste Garantie für eine pferdegerechte und liebevolle Jungpferdeaufzucht.
Wer jedoch als Stallbetreiber die vereinbarten Leistungen erbringt, der wird nicht nur durch zufriedene Besitzer gewinnen, sondern wird auch seiner Verantwortung den jungen Pferden gegenüber gerecht. Das alleine schon sollte Befriedigung bringen, wenn man seinen Job liebt und nicht nur davon redet.
In vernünftigen Betrieben darf man jederzeit kommen, um sich davon zu überzeugen und ist das Vertrauen erst einmal gewonnen, braucht ohnehin keiner mehr unangemeldet auf den Hof fahren.
Weitere Hinweise für die artgerechte Aufzucht geben die Leitlinien Pferdehaltung des Bundesministeriums für Ernährung und Landwirtschaft, die kostenlos heruntergeladen werden können.
Zusammensetzung der Jungpferdeherde – Projekt Escobar
In der Natur finden sich junge Hengste in Junggesellengruppen zusammen. Escobar wächst zur Zeit in Rheda-Wiedenbrück in einer Gruppe mit zehn weiteren Hengstabsetzern auf, darunter zwei Ponyhengste und ein eineinhalbjähriger Wallach. Die zwei, mit Stroh eingestreuten Laufställe, die große betonierte Außenfläche mit einer überdachten Raufe und eine große Sandfläche bieten für so eine große Gruppe ausreichend Platz und unterschiedliche Böden.
Die große Sandfläche wird zum Toben, Wälzen und Raufen und Schlafen genutzt. Dadurch verteilen sich die Pferde und es herrscht Ruhe und Gelassenheit in der ganzen Truppe. Schön zu beobachten ist auch, dass der Wallach immer mal wieder erzieherisch eingreift und dass alle miteinander spielen und zusammen liegen, die Ponyhengste übrigens immer mittendrin.
Escobar zeigte bereits mit drei Monaten durch Flehmen die Rosse seiner Mutter an und versuchte mit sechs Monaten spielerisch seine inzwischen wieder tragende Mutter zu decken. Das heißt, es ist nicht zu verantworten, den Versuch zu unternehmen gemischte Herden mit Hengstfohlen, Stutfohlen und Stuten kreieren zu wollen. Junghengste gehören zusammen und diese Gruppen dürfen auch nicht Zaun an Zaun mit Stuten stehen. Es gibt nur Ärger mit den jungen Wilden …
Als ich ein junges Mädchen war, war es in Schleswig-Holstein üblich, die Stutfohlen, nach einer mehrwöchigen Absetzphase, zusammen mit tragenden Mutterstuten (auch den eigenen Müttern) aufzuziehen und die Fohlen bzw. Jährlinge auch bei den Geburten mit auf der Weide dabei zu lassen. Dadurch lernten die Fohlen eine natürliche Sozialkompetenz und die Maidenstuten hatten bereits Geburten bei anderen Herdenmitgliedern miterlebt, was zu deutlich weniger Problemen bei der ersten eigenen Geburt führte.
Möglichst schmerzfreier Abschied
Obwohl ich es in Hamburg und Schleswig-Holstein vor 30, 40 Jahren als vollkommen normal erlebt habe, dass die säugenden Mutterstuten geritten und gefahren wurden, während die Fohlen alleine in der Box blieben, habe ich keinen Unterschied zum abrupten Absetzen der Fohlen, wie es heute noch gemacht wird gesehen. Jede Stute und jedes Fohlen empfindet das Absetzen anders.
Escobar haben wir alleine aufgeladen, mit Fohlengitter und geschlossener Plane, zwei Stunden zum Hengstaufzüchter gefahren. Dort angekommen, hatte er kein nasses Haar und wieherte den Absetzern im Laufstall schon zu. Obwohl er sichtlich froh war, abgeladen zu werden und sich im Laufstall sofort mit den anderen Absetzern beschäftigte, habe ich an dem Tag und noch bis zu einem Jahr gesehen, wie er in Stresssituationen bei seinen Kollegen immer wieder nach einem Euter gesucht hat. Der trostspendende Saugreflex hatte also in seinem Repertoire lange Bestand. Mehr Trauer habe ich aber durch das abrupte Absetzen nicht erkennen können.
Escobars Mutter, eine erstgebärende siebenjährige Stute, war zwei Stunden im Paddock und abends in der Box noch etwas unruhig, nahm aber trotzdem das angebotene Heu und Kraftfutter und verhielt sich am nächsten Tag in der angestammten Herde ohne sichtbaren Stress. Das Euter und der Milchfluss hatten sich nach eineinhalb Wochen komplikationslos ohne therapeutische Einflussnahme zum nichtlaktierenden Gesäuge zurückgebildet.
In Escobars Fall war das Abstzen sehr einfach. In meiner Praxis habe ich allerdings auch schon wochenlang trauernde Fohlen und Mutterstuten mit Mastitis (Euterentzündung) und tagelanger Unruhe gesehen.
Eine Züchterin in meinem Kundenstamm schwört auf Mutter-Kind-Boxen mit halb hohen Wänden, unter denen hindurch das Saugfohlen von Beginn an in einen Bereich gehen kann, in den die Mutterstute nicht folgen kann. Ob es den Abschiedsschmerz wirklich reduziert, kann ich nicht verlässlich beurteilen.
Fohlentransport
Wann der Tag der Trennung gekommen ist, richtet sich nach dem Abfohltermin und dem gemeinsamen Aufstalltermin im Aufzuchtstall. In der Regel ist es im sechsten oder siebten Lebensmonat. Wie die Trennung erfolgen soll, da scheiden sich die Meinungen der „Fachleute“– ob Transport des Fohlens mit oder ohne Mutterstute, ob abrupt an einem Tag, oder langsam über mehrere Tage und stundenweise gesteigert.
Bei Escobar hatten wir uns dazu entschlossen, das Fohlen einfach kurz und bündig in den neuen Stall zu fahren und dabei die Mutterstute zuhause zu lassen. Da es ihr erstes Fohlen war, hatte sie in der gesamten Säugezeit von Beginn an hysterisch reagiert, wenn Escobar seiner Wege ging. Escobar hatten solche Situationen weitgehend kalt gelassen. Wir hatten allerdings Bedenken, die Stute im Aufzuchtstall ohne Fohlen wieder aufladen und zwei Stunden zurück fahren zu müssen.
In Escobars Fall, war es die richtige Entscheidung gewesen. Sehr zugute kam uns sicher, dass Escobar aufgrund seiner Hufbeinverletzung schon mehrfach mit seiner Mutter Anhänger gefahren war und daher die Situation an sich schon kannte. Meiner Meinung nach in jedem Fall ein Vorteil.
Ob mit oder ohne Mutter muss die Mitteltrennwand im Anhänger entfernt werden. Ohne Mutter kann besser auch die durchgehende Vorderstange (bei zwei einzelnen Stangen diese sowieso) herausgenommen werden. Das Fohlen wird verladen, indem einer es am Kopf führt und zwei weitere Helfer es resolut auf den Anhänger schieben. Sie greifen sich dafür entweder an den Händen oder benutzen einen breiten Lederriemen. Nach Schließen der Klappe und Einsetzen des Fohlengitters, fand ich es sympathischer, die Anhängerplane über dem Fohlengitter zu schließen, damit das Fohlen gar nicht erst auf die Idee kommt sich mit den Vorderhufen steigend im Gitter zu verfangen.
Trotz abschließbarer Vordertür, habe ich sie sicherheitshalber mit einem Spanngurt gesichert. Zu groß war mir die Gefahr, dass Escobar sich mit der Kruppe an der Tür abstützt und diese dann ungewollt aufspringt. Mein Freundeskreis behauptet immer das wäre eine Berufskrankheit, aber ich habe in meiner 20-jährigen Pferdepraxis schon zu viele Pferde, Ponys und Fohlen aus prekären Situationen befreien müssen und nicht alle Fälle sind gut ausgegangen.
Das Fohlen steht dann während der Fahrt unangebunden (!) frei im Anhänger. In der Regel drehen sich die Fohlen entgegen der Fahrtrichtung und balancieren sich breitbeinig stehend aus. Selbstverständlich ist, dass man vorsichtig fährt, vor Kurven die Geschwindigkeit reduziert und erst hinter der Kurve wieder langsam beschleunigt.
Mit Mutter zu fahren bedingt eine (!) durchgehende Vorderstange. Die Mutter wird entweder kurz auf einer Seite angebunden, oder nicht zu lang an beiden Seiten. Bei zwei Stricken wird der eine Strick um die Stange von unten verlaufend mehrfach umgelegt und der andere Strick um die Stange von oben verlaufend mehrfach um die Stange gelegt, um im Ernstfall die Gefahr des Aushebelns der Stange zu reduzieren und um keine größeren hängenden Schlaufen zu haben, in denen sich das Fohlen verheddern kann.
Das Fohlen wird frei neben die Mutter geschoben. Hat man eine durchgehende Hinterstange, empfiehlt es sich, diese aus Sicherheitsgründen einzusetzen. Fohlengitter und Plane werden gehandhabt wie beim Transport ohne Mutter, siehe oben.