Erb-, oder Genkrankheiten sind Krankheiten, die über die Erbinformationen der DNA von den Elterntieren an die Nachkommen weitergegeben werden können. Aufgrund der intensiven Forschung auf diesem Gebiet, rücken zurzeit immer wieder neue Krankheiten der Pferde in den Focus der Mikrobiologen und Mediziner. Ist eine Krankheit als vererbbar identifiziert, beginnt die Wissenschaft dafür sogenannte Marker (Primer) zu entwickeln, die den Gendefekt in einer Laboruntersuchung sicher nachweisen können. Ist dies erfolgt dürfen dafür zugelassene Labore die Untersuchung auf den jeweiligen Gendefekt hin anbieten.
Dem Tierarzt/ Züchter/ Pferdebesitzer wird in den Informationsmaterial zu dem jeweiligen Gendefekt u.a. der Erbgang mitgeteilt. Die verschiedenen Erbgänge zu verstehen, ist wichtig, um das Risiko im Rahmen der Pferdezucht einschätzen zu können. Diese Angaben zu den Erbgängen setzten sich aus mehreren Informationen zusammen:
- autosomal – der Defekt ist auf einem, oder auf zwei der 62 autosomalen Chromosomen; jedes autosomale Chromosomen ist immer doppelt vorhanden.
- gonosomal – Defekt ist auf dem geschlechtsspezifischen X oder Y Chromosomen
- rezessive Vererbung – ist das Gen nur auf einem autosomalem Chromosomen, so wird das Pferd als Genträger bezeichnet; das Pferd ist je nach Erbkrankheit nur Träger und erkrankt klinisch nicht, oder erkrankt in abgeschwächter Form
- dominante Vererbung – ist das kranke Gen auch nur auf einem Chromosomen, kommt es immer zur Ausprägung des Krankheitsbildes; ist es auf beiden Chromosomen ist das Pferd zumeist nicht lebensfähig, oder stirbt nach kurzer Zeit
Fast alle bekannten Erbkrankheiten tauchen zu Beginn gehäuft in einer Pferderasse auf. Genmutationen (also veränderte Chromosomen) sind die Basis der Evolution und daher vollkommen normal. Während in der Natur allerdings Pferde mit nicht sinnvollen Genmutationen schneller sterben und sich nicht großartig vermehren, müssen im Rahmen der Zucht die Menschen die Verantwortung der Selektion übernehmen. Eine große Aufgabe also!
Angesichts der künstlichen Besamung werden heute Gendefekte sehr schnell weltweit verbreitet, meistens bevor die Genforschung diesen überhaupt erst als solchen ausgemacht hat.
Besonders Zuchten, die nur auf wenige Merkmale selektieren, wie Farbzuchten, Rassen mit einem sehr kleinen Genpool, oder Mode-Hengste die extrem schnell viele Nachkommen hinterlassen, stellen dabei ein hohes Risiko dar.
Bekannte Gendefekte in der Warmblutzucht
Warmblood fragile foal syndrom (WFFS)
Im Frühjahr 2014 wurde ich zu einer Stute gerufen, die in der Nacht abgefohlt hatte. Stute und Fohlen waren wohlauf und das kleine fröhliche Pferdekind gewann die Herzen von uns allen im Sturm. Die erstgebärene Mutterstute liebte ihr Kind bereits heiß und innig und gemeinsam wurde in der Stallgasse auf die gelungene Nachzucht angestoßen.
Am dritten Tag verletzte sich dieses Fohlen leicht an der Unterlippe. Ich erinnere mich noch mit Grauen an meinen saublöden Spruch damals: „Nichts ist lebensgefährlicher, als das Leben selbst.“
Am darauffolgenden Tag erhielt ich einen Anruf, da sich das Fohlen am rechten Ellbogen verletzt hatte und dort nun eine offene Wunde klaffen würde.
Wir legten das Fohlen auf seiner linken Seite ins Stroh und ich versuchte mit Hilfe einer Lokalanästhesie die Wundränder zu betäuben, um die Wunde aufzufrischen und zu vernähen. Ich kann mich erinnern, dass mich die geringe Blutungsneigung der Wunde stutzig gemacht hat. Mein Lokalanästhetikum lief unter der Haut davon und die Unterhaut löste sich dabei immer weiter von der Oberhaut ab. Ich konnte aber auch ohne das wirksame Anästhetikum schneiden und nähen, ohne dass das Fohlen Abwehrbewegungen zeigte. Nur an den Stellen, an der Oberhaut und Unterhaut miteinander fest verbunden waren, zeigte das Fohlen Schmerzreaktionen. An den anderen Stellen aber konnte ich arbeiten, während das Fohlen mit dem Kopf friedlich schlafend auf dem Schoss seines Besitzers liegen blieb. Noch während ich am Ellbogen zu Ende nähte, riss die Haut hinten rechts am Sprunggelenk auf – ohne wesentliche Blutungen. Ich nähte hinten rechts weiter, das Fohlen strampelte kurz und an weiteren Gelenken riss die Haut auf. Die Risse erfolgten vorne am Karpalgelenk, links am Sprunggelenk …, während das Fohlen ohne Narkose einfach friedlich liegen blieb und sich kraulen ließ.
Ich stand auf und ging vor den Stall und rief in einer Pferdeklinik an. Irgendeinen Artikel hatte ich im Kopf. Bindegewebsschwäche bei neugeborenen Fohlen? Damals versuchte die Kollegin mir zu helfen, sie hatte ähnliches gelesen, aber Genaues wusste sie auch nicht. Als ich in den Stall zurückkehrte, waren weitere Stellen der Haut aufgerissen und selbst neben meinen bereits gesetzten Nähten riss die Haut teilweise schon wieder auf. Unter Tränen aller Beteiligten habe ich das Fohlen euthanasiert. Die Trauer, auch die der Mutterstute war unbeschreiblich. Es war WFFS.
Das Warmblood Fragile Foal Syndrome, kurz WFFS, ist eine vor allem bei Warmblutpferden auftretende erbliche Bindegewebsschwäche. Betroffene Fohlen zeigen eine sehr dünne und dadurch verletzungsanfällige Haut und eventuell auch aufgrund der Bindegewebsschwäche überdehnbare Gelenke. Inzwischen wurde diese Erkrankung auch bei einem Vollblutfohlen nachgewiesen und es gibt die Überlegung diese Erkrankung in fragile foal syndrom (FFS) umzubenennen. Die WFFS Genträger sind klinisch unauffällig und sind äußerlich (phänotypisch) gesund. Die Fohlen, die auf beiden Chromosomen den Gendefekt tragen, sind nicht lebensfähig.
WFFS wird autosomal-rezessiv vererbt. Daraus ergibt sich folgendes Bild:
Deswegen geht WFFS alle Züchter, Hengsthalter und Zuchtverbände etwas an und es ist wichtig für Transparenz zu sorgen, in den Hengst- und in den Stutenlinien. Nur so kann gezielt und risikolos angepaart werden. Es müssen Daten gesammelt und zur Verfügung gestellt werden, damit keine Träger-Träger-Anpaarungen mehr zustande kommen und die Erkrankung vermieden wird und sich nicht weiter im Genpool verbreitet. Jeder verantwortungsvolle Züchter sollte wissen, ob seine Stute WFFS Träger ist, oder nicht. Es reicht nicht aus, nur die Hengste zu testen. Aus meiner Sicht müssen auch die Körkommissionen den Gendefekt in ihre Entscheidungen mit einfließen lassen. Bei zwei vergleichbaren Körkandidaten, mit vergleichbaren Abstammungen, muss die Entscheidung für den WFFS-freien Hengst fallen. Einen WFFS-Träger Hengst zu Kören, muss eine klare Erklärung bezüglich der Gen-Diversität für die Warmblutzucht, aufgrund seiner individuellen Abstammung, von Seiten der Körkommission beinhalten.
Silver Gen (Windfarben)
Die silbergrauen Aufhellungen im Langhaar bei Braunen und Rappen kommen überwiegend in den amerikanischen Rassen (American Miniature Horse, Kentucky Mountain Saddle Horse Rocky Mountain Horse), bei den Kaltblütern (Ardenner, Comtois, Alezan Comtois), sowie den Islandpferden und Ponys vor. In den letzten Jahren habe ich aber bei den Körungen der Warmbluthengste schon den einen oder anderen Warmbluthengst mit diesem Merkmal gesehen. Deswegen führe ich diese Gen-Mutation hier auf, auch weil neben mir stehende Zuschauer Begeisterung über diese Aufhellung äußerten.
Silver-Gen – Effekt (= Windfarben) ist vor allem sichtbar an Mähne und Schweif, die bei Vorhandensein des Silver-Gens (Z), mit weißen und grauen Haaren durchsetzt sind. Dies ist die Folge der verringerten Einlagerung des dunklen Farbpigments „Eumelanin“ in das (Lang-) haar und betrifft nur Rappen (Rappsilber) und Braune (Braunsilber). Pferde mit der Grundfarbe Fuchs besitzen nur helles Farbpigment Phäomelanin und zeigen daher diese Aufhellung im Langhaar nicht. Daher können Füchse nur genetisch Träger der Silver-Mutation sein.
Die Silver-Mutation wird auf dem identisch gleichen Gen mit Augenproblemen, den sogenannten „Multiple Congenital Ocular Abnormalities“ (MCOA) assoziiert. Darunter wird eineGruppe von multiplen angeborenen Augenanomalien zusammengefasst; vermutlich nicht progressive Symptome.
Der Erbgang ist unvollständig autosomal-kodominant, d.h. eine Genanlage auf einem Chromosom reicht aus, um das Pferd (Rappe/ Brauner) im Langhaar so erscheinen zu lassen. Unvollständig dominant bezieht sich auf die Vererbung der Augendefekte. Pferde mit zwei Kopien der Silver-Variante (Z/Z) haben ein größeres Risiko, mit Augendefekten im Sinne der MCOA geboren zu werden, als Tiere mit nur einem defekten Chromosomen (n/Z).
Leichte MCOA Defekte können Zysten am Ziliarkörper und der Iris bedeuten, die nicht zu gravierenden Sehstörung führen.
Schwere Augendefekte im Sinne der MCOA können bei reinerbigen Tieren zu eine Fehlentwicklung der Iris, Verengung der Pupille, Buphthalmus (Vergrösserung des Augenapfels), fehlerhafte Gewebeentwicklung: Hornhaut, Iris, Ziliarkörper, Linse, ev. auch zu einer Unterentwicklung der Netzhaut und damit zu einer gravierenden Sehbehinderung bis hin zu Blindheit führen.
Das Silver-Gen wird unvollständig autosomal-kodominant vererbt:
Das Silver-Gen (PMEL17) MCOA: Betrifft hauptsächlich Pferde mit Silver Aufhellung, aber nicht ausschließlich. Der direkte Zusammenhang zwischen Fellfarbe und Sinneseinschränkung ist genau zu untersuchen. Kongenitale Augendefekte werden natürlich auch bei Pferden ohne Silver Farbe beobachtet.
Polysacchharid Speicher Myopathie 1 (PSSM 1)
Noch ist diese Erbkrankheit nicht in der Warmblutzucht etabliert. Sie betrifft aber inzwischen so viele Rassen und ist schon lange nicht mehr auf das Quarter Horse, die Kaltblüter und u.v.a. zu reduzieren. Wichtig ist nur zu wissen, dass bereits Gen-Träger klinisch relevante Probleme in der Skelettmuskulatur entwickeln können. Der Gendefekt wird unvollständig autosomal-dominant vererbt und führt zu Muskelschäden aufgrund eines Fehlers des Zuckerstoffwechsels in der Skelettmuskelzelle. Wenn ein Verdacht besteht, sollte das Pferd auf die genetische Erbanlage PSSM 1 (genetische Mutation im GYS1 Gen) getestet werden.
PSSM 2 Komplex Untersuchung CAG-Tübingen
Neuerdings werde ich ständig, von Warmblut Besitzern, aber auch von Besitzern anderer Rassen, auf diese Untersuchung angesprochen. Dies ist darin begründet, dass das Labor CAG in Tübingen die Untersuchung auf PSSM 2 anbietet. Korrekter müsste man es PSSM 2 Komplex nennen, oder besser noch einen völlig anderen Namen dafür suchen. Die CAG untersucht dabei, inzwischen 6 verschiedene Genabschnitte der DNA des Pferdes auf Gen-Varianten, die mit systemischen Muskelerkrankungen in Zusammenhang gebracht werden könnten. Noch gibt es für keine der untersuchten Varianten ein klar wissenschaftlich zuzuordnendes Krankheitsbild und daher schon gar nicht eine mögliche Therapie, oder auch nur eine Erkenntnis wie mit den Ergebnissen umzugehen ist. Allein die Bezeichnung PSSM 2 bedeutet NICHT, dass die Gen-Variationen in einem Zusammenhang mit der definierten Muskelerkrankung des PSSM 1 zu betrachten sind, oder auch nur etwas miteinander zu tun haben. Daher dürfen auch Fütterungs- und Managementempfehlungen für PSSM 1 Gen-Träger (nachgewiesene, positive Pferde!) NICHT auf die Untersuchungsergebnisse der CAG übertragen werden.
Dazu nur ein Zitat der Universität Zürrich (Pferdespital):
„Die Ursache für PSSM Typ 2 ist noch nicht eindeutig identifiziert worden. Es wurde kürzlich eine genetische Variation entdeckt (MYOT) die für den veränderten Kohlehydratstoffwechsel im Muskel verantwortlich sein könnte. Dieser Typ kommt bei vielen Pferderassen vor. PSSM Typ 2 wird mittels einer Muskelbiopsie diagnostiziert.
Es wird ein Gentest für PSSM 2 durch kommerzielle Labore angeboten, dieser ist jedoch nicht validiert und wird von uns nicht zur Diagnose oder für Empfehlungen zur Zucht herangezogen. Zwei unabhängige wissenschaftliche Studien (Valberg et al 2020, Valberg et al 2022) haben gezeigt dass der PSSM Typ 2 Gentest bei 40-50% von Pferden falsch positiv oder falsch negativ ausfällt.“
Quelle: https://www.tierspital.uzh.ch/de/Pferde/Pferdemedizin/Dienstleistungen/Muskel/1-PSSM.html
Splashed White Gen
Diese Pferde kommen mit einem unregelmäßigen Scheckmuster daher, wobei die Zeichnungen sehr variabel sein können. Wenn man über Outbreeding und Gen-Diversität spricht, muss man sich auch mit der Einkreuzung von Schecken, oder Kreuzungen von Pferden mit auffallenden weißen Zeichnungen in der Warmblutzucht befassen. Noch stellen diese Pferde sicher die Ausnahme dar. Aber auch bei mir in der Praxis registriere ich neuerdings immer wieder Warmblüter mit ungewöhnlichen weißen Zeichnungen am Kopf, teilweise mit blauen Augen, oder am Bauch in Verbindung mit hochweißen Beinen.
Bei dem Splashed white-Gen weiß man inzwischen von 6 verschiedenen Mutationen, die unterschiedliche Ausprägungen haben und die Genetiker werden in Zukunft bestimmt auch noch mehr finden. Auffallend ist, dass einige reinerbigen Mutationen (Sw 2 und Sw 3) anscheinend nicht lebensfähig sind.
Pferde mit einem Sw-Gen fallen durch eine große weiße Blesse (Laternen), eventuell auch mit blauen Augen, hochweißen Beine und/ oder durch weiße Flecken am Bauch auf. Nicht alle Zeichnungen können von herkömmlichen weißen Zeichnungen unterschieden werden. Wichtig ist in dem Zusammenhang, dass Züchter und Zuchtvereinigungen die Entwicklung im Auge behalten und sich ggf. von einem kompetenten Labor (welches eine Zulassung für die Farbgentestung bei Pferden besitzt) beraten lassen. Sinnvollerweise, bevor sie Warmblüter mit auffallenden Zeichnungen mit einander anpaaren bzw. auffallend gezeichnete Hengste für die Warmblutzucht kören.