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12 Avanches – Schweizer Nationalgestüt (SNG)

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Endlich habe ich es geschafft und die Stadt Bern liegt hinter mir. Ich folge der A 1 und nun sind es nur noch wenige Kilometer bis zur Ausfahrt Avanches.

Was treibt mich eigentlich in die westlichste Ecke der Schweiz?  Und was hat das mit Hengsthaltung zu tun?

Vielleicht muss ich dazu etwas ausholen: Nach der drohenden Schließung im Jahr 2011, wurde das Schweizer Nationalgestüt für die Freiberger Pferdezucht vollständig in die Schweizer Forschungsanstalt Agroscope Liebefeld-Posieux (ALP-Haras) integriert.

Die gestütseigene Pferdeklinik des SNG, wurde mit der Pferdeklinik Vetsuisse Fakultät der Universität Bern zum Institut suisse de médecine équine (ISME) zusammengeführt.

Das Schweizer Nationalgestüt SNG wurde damit Teil des Instituts für Nutztierwissenschaften (INT) von Agroscope. Die Finanzierung des Gestüts, inklusive der damit verbundenen landwirtschaftlichen Forschung, wird von der Schweizer Regierung bezahlt.

Die besondere Aufmerksamkeit des SNG gilt nach wie vor der Freiberger Pferdezucht und das Gestüt leistet, mit den zur Zeit 60 eigenen Deckhengsten, einen kulturellen Beitrag die einzige noch existierende Schweizer Pferderasse zu erhalten.

Ich gebe zu, die Freiberger Zucht war nicht der Grund, warum ich in die Schweiz gefahren bin, auch wenn der Blick über den berühmten Tellerrand bekanntlich nicht schadet.

Avanches hat sich zu einem Kompetenzzentrum für Equiden in der Schweiz entwickelt

Hier werden Forschungsprojekte in den Bereichen Pferdezucht, Reproduktion, Pferdegesundheit, Haltung, Pferde-Verhalten, sowie Ökonomie und Ökologie durchgeführt, die ihres gleichen suchen. Vor allem die Untersuchungen, wie die Haltung von Pferden –auch in der Hengsthaltung – nach ethologischen Erkenntnissen verbessert werden kann, hat mich interessiert.

Und wer von uns hat sich schon wissenschaftlich mit der Persönlichkeitsstruktur eines einzelnen Pferdes, oder mit dem Wiehern eines Pferdes als Emotionsindikator, auseinandergesetzt? Nun die Schweizer Forscher tun dies und vernetzen sich dazu noch mit den weltweit verstreuten, einzelnen Forschern, die sich auch mit dem Pferd befassen. Auch wenn man es kaum glauben mag, aber dieser Forschungszweig ist beim Pferd nach wie vor in den Kinderschuhen. Wir wissen heute wissenschaftlich fundiert mehr über das Verhalten von Walen und Zugvögeln, als über unsere Pferde.

https://www.agroscope.admin.ch/agroscope/de/home/themen/nutztiere/pferde/haras-pferdezucht-und-haltung-sng/haras-ethologie-und-haltung-sng.html

Beratung und Wissenstransfer

Der Umgang und die Haltung von Pferden löst viele Fragen aus, vor allem wenn es um „pferdegerechte“ Fragestellungen geht. Dazu wurde in Avanches auf dem Gelände des SNG die Beratungsstelle Pferd eingerichtet. Mit ihrem Netzwerk an Fachleuten aus allen Bereichen der Pferdebranche hilft die Schweizer Beratungsstelle allen, die Pferde halten, züchten, Betriebe leiten, sowie Behörden und Pferdeorganisationen mit kompetenter Beratung. Bildungsangebote für Universitäten, Fachschulen und Kurse für die Praxis, sowie die jährliche Tagung des „Netztwerkes Pferdeforschung Schweiz“ in Avenches runden die Aktivitäten ab.  Ergänzt wird die Beratungsstelle durch das eingerichtete Dokumentationszentrum, welches über 12.000 Bücher und Artikel zum Thema Pferd umfasst und allen Interessierten offen zur Verfügung steht.

Reproduktionszentrum ISME

Die ursprüngliche Pferdeklinik des Gestüts wurde mit der Pferdeklinik der Vetsuisse-Fakultät der Universität Bern zum gemeinsamen Institut suisse de médecine équine (ISME) zusammengelegt. Auf dem Gelände des SNG betreibt das ISME ein EU-akkreditiertes Reproduktionszentrum, eine Abteilung für Arbeits- und Sportmedizin sowie ein Rehabiltitations- und Fitnesszentrum für Pferde.

Angrenzende Sportanlagen und sportliche Nutzung des Schweizer Nationalgestüts (SNG)

Als ich am Samstagmittag das Gestüt erreichte, war ich etwas erstaunt im historischen Innenhof zwei Dressurvierecke plus Abreiteviereck vorzufinden. Dies konnte ich mir auf dem Grund des Nordrhein-Westfälischen Landgestüts in Warendorf nicht vorstellen. Gleichzeitig zu dem Ablauf eines normalen drei-tägigen Dressurturniers, inklusive Führzügelklasse bis hin zum Grand-Prix, standen die Gestütsanlagen allen Besuchern zur Besichtigung offen, die Hengste schauten aus ihren Boxen heraus dem Geschehen auf den Dressurvierecken zu und gingen auf der anderen Seite der Anlage in die Führmaschine, oder auf ihre Hengstpaddocks.

Gleichzeitig fütterten auf den Dächern der historischen Gebäude über zwanzig Storchenpaare ihre Jungen. Während die Elterntiere immer wieder über die Dressurvierecke flogen, oder sogar aus den Wasserpfützen tranken, die nach dem Bewässern der Vierecke entstanden waren, absolvierten die Dressurpferde unbeirrt ihre Aufgaben.

Am Sonntag lief auf dem einen Viereck eine L-Dressur. Etwas irritiert hörte ich der Ansage zu, welche Aufgabe sich der folgende Starter ausgesucht hatte. Eine nette Schweizerin klärte mich auf: Jeder Starter konnte die Aufgabe aus der L-Aufgabensammlung frei wählen… .

Wie die Richter die unterschiedlichen Schwierigkeitsgrade bewerteten, erschloss sich mir nicht mehr. Dafür erfuhr ich, dass in der Schweiz in allen Dressurprüfungen, einschließlich der nationalen Meisterschaften, der Reiter die Wahl hat zwischen Trensen- oder Kandarrenzäumung. Auf dem Nebenviereck lief parallel eine St. Georg Prüfung und mindestens ein Drittel der Starter erschien mit Trensenzäumung.

Etwas verwirrt wendete ich mich dem umliegenden Gelände zu. Wunderschöne Dressurvierecke, Springplätze, ein Reitstadion, eine Pferderennbahn mit Stallungen und ein weitschweifendes Vielseitigkeitsgelände, in dem im Herbst in letzten Jahres die Europameisterschaften der Vielseitigkeitsreiter stattgefunden haben, schließen sich an das Nationalgestüt direkt an.

Überall ritten einzelne Reiter verschiedener Disziplinen. Spätestens, als mir ein Westernreiter im Gelände entgegenkam, verstand ich: Hier läuft einiges anders, als bei uns in Deutschland. Weder auf dem Anhängerparkplatz hörte ich auch nur einmal das bei uns so übliche Theater, alle ritten gelassen zum Turniergeschehen, oder hängten sogar der gerittenen Dressuraufgabe noch eine entspannte Schrittrunde durch den Park an. Alle Siegerehrungen fanden völlig selbstverständlich ohne Pferd im Zelt statt. Dazwischen die Störche und die Gestütspferde.

Dies Ruhe und Selbstverständlichkeit, mit der dieses Turnier ablief, ist das die berühmte Schweizer Gelassenheit, oder einfach nur eine wohltuende natürliche Rückkehr zum Reitsport in einer natürlichen Umgebung?

Übrigens der Werbebanner des Turniers zeigte eine Reiterin, die ihr Pferd am Hals lobt … .

https://escobar-hengst.de/12-deckhengsthaltung-in-avanches/Hengsthaltung im Schweizer Nationalgestüt (SNG); Forschung Hengsthaltung Agroscope/ Schweiz